"Wir fühlen uns nicht als Exotinnen"
Interview mit Anna Gockeln und Carina Steins, den Botschafterinnen von Benteler im Projekt MINTrelation
Anna Gockeln und Carina Steins arbeiten im Unternehmen Benteler Steel/Tube GmbH in Paderborn. Es gehört zur Benteler-Gruppe, einem internationalen Automobilzulieferer und Stahlrohrhersteller mit 29.400 Mitarbeiter/innen weltweit.
Anna ist 24 Jahre alt, Wirtschaftsingenieurin und arbeitet als Projektingenieurin im Supply-Chain-Management. Ihr Aufgabenbereich umfasst Projekte unterschiedlichster Art mit logistischem sowie den Vertrieb betreffenden Hintergrund und die aktuelle Mitarbeit an einem Werksneubauprojekt in den USA.
Carina ist 26 Jahre alt, Maschinenbau Ingenieurin und arbeitet als Vertriebsingenieurin im Produktmanagementbereich Wärmetransfer. Unter anderem ist sie zuständig für den Vertrieb von Energierohren in Spanien, Portugal, Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland, sowie für den Vertrieb von Rohren für thermische Solarkraftwerke weltweit. Außerdem ist sie zuständig für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter/innen und die Marktindikatoren für den Unternehmensbereich.
Ihr engagiert euch im Projekt MINTrelation und bringt interessierten Schülerinnen eure Arbeit näher. Wie macht ihr das genau?
Hauptsächlich stellen wir den Mädchen interessante Arbeitsbereiche in unserem Betrieb vor. Außerdem versuchen wir bei Fragen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und besonders die Sorgen anzusprechen, die uns selbst als junge Frauen vor der Berufswahl bewegt haben. Wir schildern unsere Erfahrungen im Alltag, um den doch oft allzu großen Respekt vor den Naturwissenschaften und "der Männerberufswelt" zu nehmen.
Was ist eure Motivation dabei?
Unsere Motivation ist grundsätzlich für MINT zu begeistern. Wir sind - zumindest gilt das für unseren Betrieb - nicht der Meinung, dass die Branchen frauenunfreundlich sind oder der Einstellung von jungen Frauen entgegenstehen. Hier hat sich das Denken hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Es fehlen einfach junge Frauen, die sich trauen, den Schritt in dieses Berufsfeld zu wagen. Viele Männer vor dem Berufseinstieg denken sich, "ich schaffe das schon, ich interessiere mich für diesen Bereich, also werde ich das packen". Dieses Denken ist bei Mädchen oder jungen Frauen nicht ganz so ausgeprägt. Gerade was MINT angeht, liegt die Sorge aber auch oft im Umfeld begründet. So fragen sich viele Eltern, die meist darauf bedacht sind, ihre Kinder zu schützen: "Wird meine Tochter sich in dieser Branche behaupten können?". Wir möchten zeigen, dass dieses Berufsfeld unabhängig vom Geschlecht interessant sein kann. Voraussetzung, um in unserem Bereich erfolgreich - oder sagen wir vor allem zufrieden - zu sein, bei dem was man tut, ist in erster Linie die persönlich Interessenslage jedes Einzelnen, nicht das Geschlecht.
Hat eure Firma ein besonderes Interesse an weiblichem Nachwuchs? Wenn ja, warum?
Unsere Firma hat sowohl Interesse an weiblichem wie auch an männlichem Nachwuchs. Es gilt dem Fachkräftemangel, der sich in naher Zukunft noch weiter verschärfen wird, frühzeitig entgegenzuwirken. Dabei werden beide Geschlechter gleichermaßen einbezogen.
Spricht euer Betrieb gezielt Mädchen/junge Frauen an, z.B. durch auf Mädchen/junge Frauen zugeschnittenes Infomaterial?
Das Informationsmaterial ist geschlechtsneutral gestaltet.
Was würdet ihr vorschlagen, wie es gestaltet sein sollte, um weiblichen Nachwuchs besser zu erreichen?
Allgemeine Informationsflyer sollten zunächst einmal beide Geschlechter ansprechen. Ein Hervorheben der geschlechtsspezifischen Bedenken sollte unserer Meinung nach im persönlichen Gespräch stattfinden. In der breiten Masse mit gesondertem Werbematerial aufzuwarten, führt unter Umständen dazu, dass wir Frauen im MINT Bereich wieder zu etwas Besonderem gemacht werden. Dies halten wir nur dann für sinnvoll, wenn im Gegenzug auch das Material speziell für die jungen Männer spezifisch aufgewertet wird.
Unserer Meinung nach würden viel mehr gezielt zugeschnittene Informationstage, bei denen im persönlichen Kontakt auf die Sorgen der einzelnen Personen - auch geschlechterabhängig - eingegangen werden kann, weiterhelfen. Im persönlichen Gespräch - vor allem mit älteren Gleichgesinnten - konnten für uns eigentlich sehr viele Bedenken ausgeräumt werden.
Wie seid ihr selbst darauf gekommen, einen Beruf im technischen Bereich auszuwählen?
Unser Interessenschwerpunkt ging in die MINT-Richtung. Da lag es nahe, sich in diesem Bereich einmal genauer zu informieren. Ich (Anna) habe dazu ein Praktikum im Mercedes-Benz Werk in Stuttgart gemacht und dort gemerkt, dass ich Technik unheimlich spannend finde. Ich hatte zwischendurch auch andere Berufe in Betracht gezogen und wahrscheinlich wäre ich in diesen Berufen auch glücklich geworden. Am Ende habe ich dennoch entschieden, Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren. Dafür war die angebotene Stelle im praxisnahen dualen Studium auf jeden Fall mit ausschlaggebend.
Ist es für euch inzwischen Normalität geworden, einen technischen Beruf auszuüben oder fühlt ihr euch manchmal noch als Exotin?
Wir fühlen uns nicht als Exotinnen. Deswegen die Antwort: ja, einen technischen Beruf auszuüben, ist für uns Normalität geworden. Eigentlich ernten wir eher Respekt, wenn wir erzählen, was wir so machen. Und das tut doch eigentlich jedem gut, oder?
Viele Fachleute zerbrechen sich den Kopf darüber, wie man mehr junge Frauen für die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) begeistern könnte. Was ist euer Vorschlag dazu?
Grundsätzlich: informieren, informieren, informieren. In die Schulen gehen, Leute mitnehmen, die aus den MINT-Berufen kommen. Praktika offensiv in den Schulen anbieten, Partnerschaften zwischen Unternehmen und Schulen aufbauen.
Was denkt ihr über die Medien? Wie könnten sie mehr zur Verbesserung der Bekanntheitsgrades und des Images dieser Berufe beitragen?
Vielleicht könnte man ein tolles Werbevideo drehen? Oder mehrere berufsrichtungsspezifische Videos mit Erfahrungen von Personen, die in diesem Beruf arbeiten.
Wenn ihr einen Preis vergeben solltet für das frauenfreundlichste Unternehmen, was wären für euch die Kriterien?
- Bezahlung, Verträge, Behandlung von Frauen äquivalent zu Männern
- Familienfreundliche Angebote (Kitas, individuelle Arbeitszeitmodelle, unkomplizierte Urlaubsregelung z.B. bei Krankheit der Kinder etc.).
- Eventuell frauenspezifische Weiterbildungsmöglichkeiten.
Vielen Dank für das Interview!
Autorin / Autor: MINTrelation - Stand: Juni 2012