Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde
Ich atmete tief durch. Ständig verlor ich die Kontrolle über meine Klasse. Wieso musste ich nur die Gewohnheit haben, Dinge zu erwähnen, die nicht zum Lehrplan gehörten. Dass Viktor Anekdoten aufgreift wie, dass Botox, ein Stoff, der zur Herstellung einer chemischen Waffe im Ressourcenkrieg diente, früher für Schönheits- OPs verwendet wurde, hätte ich wissen müssen.
„Ruhe bitte. Wir sind schon im Stoff hinterher und da können wir uns sowas nicht leisten“, rief ich hoffnungslos und unterbrach Viktors anscheinend sehr amüsante Rede, der ich jedoch nicht zugehört hatte. Viktor wandte sich von seinen Klassenkameraden ab und fragte: „Nein, jetzt mal ernsthaft. Es haben sich wirklich Menschen diesen Mist ins Gesicht gespritzt? Und wir reden nicht von Masochisten oder Suizidgefährdeten?“
Ich rieb mir das Gesicht und stöhnte von den Abschweifungen ermüdet: „Ich sag es jetzt zum letzten mal. Botox ist nicht so gefährlich, wie das Neobotulinumtoxin und wurde außerdem in so geringen Mengen gespritzt, dass es wohl anfangs etwas schmerzhaft war, aber in keiner Weise tödlich. Genau kann ich euch aber nichts erzählen. Zu meiner Zeit war das längst vorbei und wenn es so interessant ist, könnt ihr ja nachher im Internet darüber lesen. Und jetzt will ich zurück zum eigentlichen Thema, nämlich dem Ende des Krieges. Wer weiß, wer ihn beendet, beziehungsweise gewonnen hat?“
„Gewonnen hat ihn niemand und beendet hat ihn im Prinzip Sun Shikai.“, sagte Viktor beiläufig, als wäre es eine völlig triviale Information. Aufgrund seines immensen Wissens erachtete er es nicht für nötig, aufgerufen zu werden. Ich hatte lange dagegen angekämpft, musste jedoch einsehen, dass er sich nie ändern würde. Ungewöhnlich war es jedoch, dass die Antwort falsch war: „Nein Viktor, es waren Jonathan Blackworth und Wang Yatsen.“
Empört über meine Antwort sprang Viktor auf und fragte: „Das sollen Sie uns beibringen? Ist ja mal wieder typisch, dass sich Politiker preisen lassen. Erst führen sie den verheerendsten und grausamsten Weltkrieg 38 Jahre lang um ein wenig Erdöl und um ein wenig Erdgas und um ein wenig Kohle“, er klang wie ein liebevoller Vater, der seinem Kind eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas, wechselte jedoch plötzlich zu einer extrem wütenden Stimme „und bringen dabei circa 3 Milliarden Menschen um – sprich etwa ein Viertel der Weltbevölkerung – damit sie sich anschließend wie den Dalai Lama für den Frieden preisen lassen können. Als hätte der Krieg geendet, weil die beiden sich plötzlich zum Pazifismus bekannt haben. Weil Sun Shikai es gelungen ist, Erdöl zu synthetisieren, sind sie sich in die Arme gefallen und wegen nichts anderem! Erzählen Sie mir also nichts von diesen egoistischen Lackaffen!“
In gewisser Weise musste ich ihm nun doch Recht geben. Leider. Sun Shikai war ein Chemiker, der mit einer Gruppe von Wissenschaftlern im Verborgenen Techniken entwickelt hatte, die den Krieg beenden sollten. Ihm war es gelungen, über ein kompliziertes Verfahren aus Kohlenstoffdioxid, Wasserstoff und so ein erdöl-ähnliches Gemisch herzustellen. Sun Shikai schmuggelte mit seinem Team hunderte der Maschinen ins Ausland und verschenkte sie. Erdöl war von da an also beinahe unbegrenzt weltweit verfügbar und die Hauptmächte – nämlich Amerika und China – schlossen Frieden. Die Politik pries sich zur damaligen Zeit in den höchsten Tönen, während der Ursprung dieser Maschinen nur im Geheimen weitererzählt wurde. Die Regierung hielt Sun Shikai aus der Öffentlichkeit, um sich selbst in einem besseren Licht zu präsentieren und so stand vom Erfinder der rettenden Maschine kein Wort im Lehrplan.
Viktor merkte, dass er mich aus dem Konzept gebracht hatte. Eine Situation, die einem selbstverliebten Jugendlichen wie ihm nur allzu sehr gefiel. Verflucht. Er setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf und redete weiter: „Aber der Mensch ist nun mal von Natur aus egoistisch. Da kann man kaum was dran ändern. Das ist nun mal der Selbsterhaltungstrieb des Menschen, dass man alles Gute für sich will. Weswegen kam es denn überhaupt dazu? Weil die Menschen sich einfach nicht vom Erdöl trennen konnten. Gut, sie haben, wie Sie sagten, mal hier und da mit regenerativer Energie gespielt, oder mal ab und an was von Nachhaltigkeit erzählt und man muss schon sagen, dass das Erdöl nicht nur, wie es zeitweise hieß, bis 2050 gehalten hatte, sondern erst 2113 ein Krieg darum losgebrochen ist, aber die Menschen haben sich einfach immer nach dem Motto verhalten: „Noch ist ja was da.“ Und wenn Sie mich fragen, dann wird das immer so weiter gehen. Aber egal. Mit den Levisorben können wir ja im Prinzip verschwenderisch sein, wie wir wollen. Solange man genug Geld hat.“
Ich sah aus dem Fenster und betrachtete die vollkommen schwarzen Häuser. Alles war von diesen Levisorben überzogen. Die Weiterentwicklung der Solarzelle, die das gesamte Licht absorbieren und in Strom verwandeln konnte. Eine hässliche, aber nun mal praktische Erfindung. Seitdem waren fast alle Häuser in Großstädten schwarz. Eine kalte Atmosphäre, die meiner Meinung nach für die steigende Selbstmordrate verantwortlich war.
„Mag sein“, meinte ich skeptisch, „Aber ob die Möglichkeit von Verschwendung so gut für den Menschen ist, wage ich zu bezweifeln. Ich persönlich bin der Meinung, dass man diese Energieorgie einschränken sollte, sodass es Erdöl nur in Maßen gibt und ein Teil dieser hässlichen Levisorben verschwinden kann.“
„Dafür würden Ihnen, glaube ich, tausende an die Gurgel gehen. Und Franzi tut es gleich. Wenn Sie wüssten, wie verschwenderisch sie lebt. Die braucht das!“, lachte Viktor.
„Red doch keinen Mist. Als wäre ich so verschwenderisch. Du bist doch derjenige, der bei Strecken, die über einen Schritt hinaus gehen, gleich mit seiner Karre fährt.“, erwiderte Franziska schnippisch und die ganze Klasse lachte. Eine hitzige Diskussion entstand.
Unterricht werde ich wohl keinen mehr zustande bringen können! Und wieder abrupt die Kontrolle verloren! Das ist hier unmöglich! Verfluchter Mist!