sukie hat sich in der Körperwelten-Ausstellung gewagt und berichtet über ihre Eindrücke: von stickiger Luft, Herzpochen und über lebendige Tote
Anmerkung: Ich bin mit Vorurteilen in die Ausstellung gegangen und mit genau diesen wieder heraus gekommen. Dies ist keine wissenschaftliche, analytische, oder auch nur journalistisch korrekte Betrachtung von „Körperwelten“.
*Mein Herz schlägt mir wirklich bis zum Hals*
Ich stehe im „Körperwelten- Dom“ in Köln- Kalk. Dieser „Dom“ ist ein großes weißes Zelt. Wenn man rechts neben den Kassen den Eingang zur Ausstellung passiert, scheint alles erst relativ normal zu sein. Erst nach und nach fallen mir gewisse Dinge auf: die kleine Besuchergruppe, die eines der Plastinate diskutiert, und das Pochen eines Herzens, das meinen Rundgang begleiten wird, zum Beispiel. Und zuletzt: diese stickige, aber vor allen Dingen absolut unangenehme Luft. Sie ist nicht nur stickig, sondern auch irgendwie abgestanden. Und sobald ich vor dem ersten Plastinat, den Überresten eines Mannes, stehe, bin ich der festen Überzeugung, dass mir ein unangenehmer Geruch in die Nase steigt. Vermutlich spielt meine Nase mir nur einen Streich, aber in diesem Moment ist dieser Geruch so ekelerregend für mich, dass ich es kaum aushalte. Generell geht es in dieser Ausstellung viel mehr um das, was die Besucher wahrnehmen wollen, als um das, was sie im Endeffekt auch wirklich wahrnehmen.
*Für manche interessant, für andere entwürdigend*
Der eine sieht in dem Plastinat des Hochleistungssportlers etwas sehr Interessantes: zu sehen sind alle einzelnen Muskeln und Sehnen, praktisch alle Bestandteile des menschlichen Körpers bis auf die Haut. Für mich hingegen sind diese Exponate, von denen einige hinter Glas sind, andere wiederum nur auf einem Podest stehen, Leichen, die in entwürdigen Posen gezeigt werden. Da gibt es den Läufer, den „Denker“ – einen Mann der den Schädel eines anderen betrachtet-, den Schachspieler, das tanzende Paar…
*Ein lebendiger Toter*
Bevor ich die Ausstellung betreten habe, hatte ich mir fest vorgenommen, ihr jede Chance zu geben, doch noch mein Interesse zu wecken. Das hat sich dann aber schon in dem Moment erledigt, als ich vor dem ersten Glaskasten ankomme. Dabei ist das erste Exponat wirklich „harmlos“- gezeigt wird hier nur ein Mann in aufrechter Haltung. Es ist vor allen Dingen der Ausdruck auf dem Gesicht des Toten, der mich nachher nicht mehr loslassen wird. Und die Augen mit diesem scheinbar wachsamen Blick, die sein ganzes Gesicht sehr lebendig aussehen lassen. Vor mir steht ein lebendiger Toter.
Das ist der Hauptgedanke der mich auch durch den Rest der Ausstellung begleiten wird. Nichts anderes sind diese Plastinate. Sie waren einmal Menschen, die sich vor ihrem Tod der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben.
Und da die Ausstellung „Eine Herzenssache“ heißt, steht das Herz natürlich auch im Mittelpunkt. Mal abgesehen von dem ständigen Herzschlag, der mich ab einem gewissen Punkt tatsächlich sehr nervös macht, gibt es auch einen Herzkatheter und einen Herzschrittmacher zu sehen. Das sind Sachen, die irgendwie ja ganz interessant sein können. Aber es handelt sich dabei um lebenserhaltende Maßnahmen, die in der Umgebung von Toten gezeigt werden. Das alles lässt „Körperwelten“ zynisch wirken, irgendwie herablassend.
*Glotzende Halbmenschen*
Als ich vor dem „Denker“ angekommen bin – und somit knapp die Hälfte des Rundgangs überstanden habe – hält neben mir eine weitere Besuchergruppe. Es wird über die Bauchmuskulatur gesprochen, mit den Fingern auf das Gesicht gezeigt und laut gelacht. Obwohl die Menschen sich vorher der Plastination zur Verfügung gestellt haben, und somit wussten, dass sie einzig und allein zur Schau gestellt werden, denke ich doch, dass man ihnen doch immer noch ein gewisses respektvolles Verhalten entgegen bringen sollte – und das geschieht ganz sicher nicht, wenn man sich als Besucher der Ausstellung laut lachend und mit dem Finger auf etwas zeigend vor einen der Glaskästen stellt. Wo ist denn auf einmal der Anstand der Menschen geblieben? Durch ein Museum gehen wir, auch wenn wir uns über das Gesehene, Gehörte, Erlebte oft unterhalten, doch leise und voller Respekt. Und was geschieht hier? Der Besucher scheint jegliches Benehmen zu verlieren und zu einem glotzenden Halbmenschen zu degradieren.
*Welche Mutter lässt das zu?*
Meine Füße tragen mich weiter, auch wenn es ihnen zwischendurch sichtlich schwer fällt, und kurz bevor ich den Ausgang erreiche, biege ich noch links in einen kleinen Raum ab. Hier ist es dunkler als im Rest des Zeltes, und eigentlich gibt es hier auch gar nicht allzu viel zu sehen. Aber das, was da ist, reicht auch. In kleinen Glaskästen sieht man Embryonen aus allen Phasen der Schwangerschaft. Tote Kinder. Wie angewurzelt stehe ich vor diesen Kästen. Welche Mutter lässt das zu? Wie soll der Wissenschaft damit geholfen werden, dass man sein totes, ungeborenes Kind ausstellen lässt? Es dauert einige Minuten, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen und mich bewegen kann. Das letzte Plastinat vor dem Ausgang ist eine ausgewachsene Giraffe. Wenn es nicht so absolut ekelhaft wäre, könnte ich sie fast faszinierend finden.
Das erste was ich versuche, als ich den Vorraum des Zeltes wieder betrete, ist zu atmen. Tief. Dann sehe ich den „Geschenkeshop“. Wundervoll zynisch, wie alles hier, erscheint er mir in diesem Moment. Bücher, DVDs, selbst CDs zur Ausstellung werden hier verkauft. Und man kann sich in eine Liste eintragen, falls man seinen Körper nach dem Tod dem Institut für Plastination zur Verfügung stellen möchte. Nein, danke.
Ich möchte nicht unbedingt in einem Glaskasten oder auf einem Podest zur Schau gestellt werden, damit mich Menschen, die 15€ Eintritt bezahlt haben, anglotzen können, wie sie es bei Affen im Zoo tun. Nein, danke, ich möchte nicht „Opfer“ eines absolut respektlosen Verhaltens von vermeintlichen wissenschaftlich interessierten Besuchern werden. Nein danke, ich möchte meine Menschenwürde behalten.
Und egal was Wissenschaftler, Besucher und allzu begeisterte Journalisten mir weismachen wollen: Menschenwürde gibt es hier nicht mehr. Das ist die reine Zurschaustellung. Und wo das der Wissenschaft dienen soll, wenn andere mich, meine Raucherlunge oder ungesunden Kniegelenke anstarren, das will und werde ich wohl auch bis zu meinem Tod nicht verstehen.
Lebendige Tote auszustellen überschreitet für mich nicht nur Grenzen, sondern sie werden einfach übersprungen.
Aber gut, das darf man heute ja sogar schon „Körperkunst“ nennen.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Dr. von Hagens.
Autorin / Autor: sukie - Stand: 14. Oktober 2009