"Wer keine Angst hat ist frei" nach Michel de Montaigne.
Würde ich dich fragen: hast du Angst vor dem Tod? Dann würdest wahrscheinlich unbesonnen den Kopf schütteln und sagen: Nein. Nun gut, bist du denn bereit zu sterben? Ich wette da sagst du auch nein.
*"Philosophieren heißt Sterben lernen“ von Michel de Montaigne*
Nun, kannst du es begründen? Warum hast du keine Angst vor dem Tod, aber bist trotzdem nicht bereit zu sterben? Das „aus dem Leben ins Ungewisse gerissen werden“ müsste doch jedem Angst machen, oder nicht? Michel de Montaigne, ein französischer Humanist, Schriftsteller und Politiker (1533-1592, aber das macht ja keinen Unterschied, wie ihr später lesen werdet!), ist meiner Meinung nach ein verdammt weiser Mensch gewesen und hat eine Menge faszinierender Essays geschrieben (die es in einem riesigen Band für 77 € zu kaufen gibt, und ich überleg ernsthaft das zu tun!).
Montaigne ist sogar selbstironisch, fast schon ein bisschen zynisch. Da ist wirklich keine Spur von trockener Philosophie, darum könnt ihr das fünfseitige Essay auch selber mal durchlesen.
Darin hat Montaigne sich Gedanken über die Angst vor dem Tod gemacht und kommt in seinem gleichnamigen Essay (oh Mann, ich vertipp mich schon und schreib „leichnamigen“… ;-) ) zu dem Schluss: „Philosophieren heißt Sterben lernen“.
Das hört sich jetzt natürlich erstmal total hochtrabend und unverständlich an. Aber so schwer ist es gar nicht.
*Unvermeidlich, gerecht und allgegenwärtig*
Zu allererst stellt Montaigne fest, dass sich alle philosophischen Lehren der Tugend widmen, und dass die größte Tugend die Verachtung des Todes ist. Sie beschäftigen sich zwar auch mit Schmerz, Armut und anderen menschlichen Leiden, aber unterschiedlich, denn jeder der Denkenden hat das anders stark erlebt.
Der Tod dagegen ist bei jedem gleich Thema, denn er ist das einzig wirklich Gerechte: er kommt gleichermaßen zu allen und beendet jedes Leben gleich, egal ob alt oder jung, reich oder arm, schön oder hässlich.
Nach dem Leben, mit dem Tod, ist das alles egal. Es ist also auch egal, ob man ein langes Leben oder ein kurzes Leben hatte, es kommt nur darauf an, was man mit seinem Leben anfängt.
*Memento mori*
Der Tod ist, wenn du dich vor ihm fürchtest, „eine beständige Ursache der Qual, die sich durch nichts lindern lässt“, sagt Montaigne. Ein Beispiel: In seinen letzten Tagen kann ein zum Tode Verurteilter nichts, aber auch gar nichts mehr, wirklich genießen, weil er weiß, dass er sterben wird. Aber sterben müssen wir doch eigentlich alle, also müssten wir logischerweise alle in diesen Zustand verfallen.
Natürlich tun wir das nicht. Wer dumm und naiv ist, verdrängt jeden Gedanken an den Tod. Das ist natürlich keine Lösung. Es muss also eine andere Art gefunden werden, um mit ihm umzugehen, denn gegen ihn ankämpfen kann man ja nicht.
Aber Montaigne zeigt einen neuen Weg: Man sollte dem Tode immer gedenken. Das heißt im Klartext: Man muss sich immer bewusst sein, dass man durch tausende verschiedene Zufälle zu jedem Zeitpunkt und auf noch so seltsame Art und Weise umkommen könnte!
Das klingt natürlich erstmal nicht sehr lustig, aber wenn ihr darüber nachdenkt, heißt es auch: fürchtet euch nicht, etwas Gefährliches zu tun und etwas zu wagen!
*Raubt dem Tod seinen größten Vorteil!*
Lebe so, dass du jeden Moment sterben kannst, ohne etwas zu bedauern. Montaigne sagt: „Es ist ungewiss, ob der Tod uns erwartet; erwarten wir ihn überall!“ „Rauben wir ihm gleich am Anfang seinen größten Vorteil: Nehmen wir ihm seine Fremdheit, machen wir mit ihm Bekanntschaft, denken wir an nichts so oft wie an den Tod.“
Wenn der Tod kommt, sagt Montaigne, „lasst uns die Zähne zusammenbeißen und all unsere Kraft zusammennehmen!“
Wenn du einen kurzen, gewaltlosen Tod stirbst, brauchst du keine Angst zu haben. Und bei einem langsamen, qualvollen Dahinsiechen ist der Tod die Erlösung.
„Habt ihr euer Leben genutzt, so seid ihr satt, steh zufrieden auf und geht! Habt ihr nicht verstanden, es zu nutzen, war es euch unnütz, was kümmert es euch dann, es zu verlieren, wozu wollt ihr es noch länger?“
*Der Tod betrifft uns nicht*
Und ist der Tod nicht wie die Geburt? Die Geburt ist für uns die Geburt aller Dinge, der Tod ist für uns wie der Tod aller Dinge. Es ist doch unsinnig zu trauern, weil jemand vor siebzig Jahren nicht gelebt hat. Genauso unsinnig ist es auch um jemanden zu trauern, weil er nach siebzig Jahren nicht mehr lebt!
„Er betrifft euch weder tot noch lebend: lebend nicht, weil ihr seid; tot nicht, weil ihr nicht mehr seid.“
Keiner von uns hatte Angst bevor wir geboren wurden. „Nach dem Leben seid ihr tot“, stellt Montaigne fest. „Aber während des Lebens seid ihr Sterbende, und der Tod trifft den Sterbenden viel härter und viel lebhafter und wesentlicher als den Toten.“
Frei werden
Montaigne meint: „Die Besinnung auf den Tod ist Besinnung auf die Freiheit. Wer sterben gelernt hat, hat das Dienen verlernt. Die Kunst zu sterben befreit uns von aller Unterwürfigkeit und allem Zwang. Für den hat das Leben kein Übel mehr, der eingesehen hat, dass sein Verlust kein Übel ist.“
Laut Montaigne fürchten wir mehr das Drumherum um den Tod als den Tod selbst: „schauderliche Trauermienen und Anstalten, eine völlig veränderte Umgebung, das Geschrei der Mütter, Frauen und Kinder, die Besuche von bestürzten und ganz außer sich geratenen Menschen, die Gegenwart einer Menge blasser und jämmerlich weinender Diener, ein Zimmer ohne Tageslicht (…) Kurz: alles um uns herum verursacht Grauen und Entsetzen. Wir sind schon so gut wie begraben und verscharrt.“
Die Natur hat laut Montaigne nämlich auch Bitterkeit in den Tod gemischt, damit wir uns nicht das Leben ebenso fliehen, wie sie Angst vor dem Tode haben. Genau diese Angst ist laut Montaigne das eigentliche Grauen, das vermieden werden könnte: Man muss den Tod einfach als Teil des Lebens hinnehmen. Dein ganzes Leben lang, von der ersten Stunde an, stirbst du, und mit dem letzten Tag kommst du eben beim Tod an.
Es gibt also keinen Grund sich zu fürchten, und wer keine Angst hat, ist frei!
Autorin / Autor: maryliz - Stand: 04. Dezember 2006