Der Flugzeugabsturz und die lähmende Trauer über den erschütternden Tod von 150 Menschen haben uns alle fest im Griff. Schweigeminuten werden abgehalten, Flaggen hängen auf Halbmast, Kerzen werden virtuell und real entzündet, Kondolenzbücher platzen aus allen Nähten, angefüllt mit den Sprüchen, die man üblicherweise in Todesanzeigen liest, Liveticker und "Brennpunkte" informieren uns minütlich über die neusten oder auch bereits bekannten Erkenntnisse, Meinungen und Emotionen in dieser furchtbaren Tragödie.
Die Katastrophe, die für die Betroffenen immer bleibt, was sie ist, bekommt in den Medien quasi stündlich ein neues reißerisches Kleid: Von der Tragödie für eine Schulklasse zum Untergang einer Fluglinie sind wir nun beim Todesflug des Amokpiloten angekommen. Was kommt als nächstes?
Die ganze Geschichte ist so entsetzlich, so schockierend und unendlich traurig. Aber die schrecklichen Gefühle, die plötzlich eine ganze Nation erfassen, sind auch das Resultat einer medialen Dauerbefeuerung mit Emotionen aus zweiter Hand, die durch Superlative des Grauens verstärkt werden.
"Unbegreiflich", "undenkbar", "unaussprechlich" sind zur Zeit die wohl meiststrapaziertesten Wörter, gleichzeitig wird das "Unfassbare" aus allen möglichen Winkeln beleuchtet, zur Schau gestellt und seziert.
Nein, die Angehörigen werden nicht gezeigt, aus Rücksichtnahme, dafür aber der Boden, den sie betreten haben, die Seelsorger, von denen sie betreut werden, die Fahrzeuge, mit denen sie zur Unglückstelle gebracht werden. Immer wieder werden die Zuschauer_innen animiert, sich das unermessliche Leid vorzustellen, sich die Gesichter vorzustellen, in die sich der Schmerz geschrieben hat, die man aber aus Pietät nicht gezeigt bekommt. Verpixelte Bilder von Angehörigen und Opfern gaukeln Diskretion vor, wecken aber erst recht das Bedürfnis und befeuern die Fantasie, sich die Verzweiflung genau auszumalen.
So werden auch immer wieder Menschen gezeigt, die sich besonders gelungen vorstellen können, wie schlimm es hätte sein können, wenn sie selbst betroffen gewesen wären. Menschen, die beinahe auch diesen Flug genommen hätten, die auch schon mal in Barcelona waren, die die Cousine der Freundin eines der Opfer kennen. Menschen schreiben in Kondolenzbücher, dass auch sie Kinder haben und sich darum vorstellen können, wie die Eltern sich fühlen. Manche haben Kinder, die auch schon mal auf einem Schüleraustausch waren und die können sich das alles dann noch besser vorstellen, wie grauenhaft es sein muss. Ist den Angehörigen oder irgendjemand damit eigentlich geholfen? Tröstet es, wenn die Bestürzung des Bürgermeisters von Haltern, des Schulleiters oder des schockierten Passanten, der auch davon gehört hat, in Dauerschleife wieder und wieder gezeigt wird? Ist das noch Mitgefühl, wenn man sich das von morgens früh bis spät abends anguckt, oder Trauervoyeurismus?
Und wo bleibt eigentlich diese ganze geballte Empathie bei all den anderen täglichen Katastrophen, die nicht zum medialen Großereignis stilisiert werden? Jeden Monat kommen über 200 Menschen (darunter junge, unschuldige unbeteiligte) durch Verkehrsunfälle ums Leben, nicht wenige davon durch rücksichtslose Fahrer_innen (mit selbstmörderischen Absichten, mit psychischen Problemen?) und keiner hängt deswegen eine Fahne auf Halbmast oder hält Schweigeminuten ab. Das Ungleichgewicht bekommt einen schlechten Geschmack, auch weil sich die Berichterstattung so hemmungslos auf die Opfer stürzt, deren Tod das höchste Potential an Grauen bietet (so jung! So voller Zukunft!), und die anderen dann bestenfalls am Rande erwähnt.
Ich wünsche mir, dass diese Form der Berichterstattung nun ein Ende hat - auch im Interesse derer, die einen ihnen nahestehenden Menschen verloren haben, beim Flugzeugabsturz oder auf weniger schlagzeilenträchtige Weise. Und auch im Interesse aller Kinder, die jedes Mal, wenn irgendwo Radio oder Fernsehen laufen, mit dem "Grauen", dem Unvorstellbaren, den "sterblichen Überresten", den Opfern, den verzweifelten Angehörigen und nun auch noch mit einem angenommenen "Amokpiloten" konfrontiert werden und auf diese Weise ganz nebenbei traumatisiert und verängstigt werden.
Wenn es neue, gesicherte Erkenntnisse gibt, die helfen, diese Tragödie besser zu verstehen und zu verarbeiten oder auch ähnliche Ereignisse in Zukunft zu verhindern, dann her mit diesen Nachrichten. Und bis dahin Schluss damit!
Autorin / Autor: SM - Stand: 27. März 2015