Junkfoodwerbung im Klassenzimmer
foodwatch fordert: Schluss mit Schleichwerbung in der Schule!
Wenn der Biologie- oder Geschichtsunterricht mit Infomappen, Schokolade oder Keksen bestimmter Firmen versüßt wird, wenn Erst- und Zweitklässler „Sozialverhalten, Zahlen- und Mengenverständnis“ aus Unterrichtsmappen eines berühmten Backmittelherstellers lernen und 4- bis 6-Jährige Ernährungspyramiden ausmalen, auf denen das Logo einer Cerealien-Firma prangt, die ihre Frühstücksflocken mit jeder Menge Zucker würzt, dann kann mit der Ernährungsbildung in Deutschland etwas nicht stimmen. Das zumindest finden ErnährungswissenschaftlerInnen der Verbraucherorganisation foodwatch, die pünktlich zu Beginn der Bildungsmesse Didacta eine kostenlose Abgabe von staatlich finanzierten Unterrichtsmaterialien an LehrerInnen und Schulen fordert.
Zwar gebe es für die Ernährungsbildung über alle Klassenstufen hinweg hervorragendes, unabhängig erstelltes Material, beispielsweise von dem von der Bundesregierung finanzierten aid Infodienst. Dafür müssten LehrerInnen jedoch in der Regel etwas bezahlen. Kein Wunder, dass sie dann zu den Broschüren von Lebensmittelherstellern und Wirtschaftsverbänden greifen, die ihre oft stark werblichen oder interessensgeleiteten Materialien kostenfrei abgeben. Durch die kostenlosen Unterlagen werden aber laut foodwatch schon kleine Kinder in den Schulen direkten oder subtilen Werbe- und Lobbyeinflüssen ausgesetzt.
„Es ist absurd, wenn Ernährungsbildung mithilfe von Schleichwerbung der Lebensmittelindustrie gelehrt wird, weil Lehrer neutrales Unterrichtsmaterial aus eigener Tasche bezahlen sollen. Gerade in der Ernährungsbildung gibt es längst ausgewogenes und vom Steuerzahler bereits finanziertes Material – das ist für Lehrer in der Regel aber kostenpflichtig“, kritisierte Oliver Huizinga, Experte für Lebensmittelmarketing bei foodwatch.
foodwatch forderte die Kultusminister der Länder auf, werbliche bzw. von Lebensmittelunternehmen und -verbänden gesponserte Materialien an ihren Schulen zu verbieten. Bund und Länder müssten zudem eine Lösung dafür finden, dass die staatlich finanzierten Materialien kostenfrei abgegeben werden. „Erste Stunde Bio mit Ritter Sport, zweite Stunde Kochunterricht mit Dr. Oetker – so darf Schule nicht funktionieren. Mit ihren kostenlosen Lehrmaterialien schleichen sich Unternehmen schamlos in die Klassenzimmer. Die Eltern sind gegen solche Einflüsse machtlos“, so Oliver Huizinga.
Unternehmen und Verbände hätten Schulmaterialien als eigene Werbe- und Lobbykanäle erkannt, kritisiert foodwatch und belegt das durch Beispiele: "Ritter Sport bringt den Schülern mit seiner Unterrichtsmappe bei: 'Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Schokolade glücklich macht.'. Kellogg's präsentiert eine ganz neue Ernährungspyramide, in der die Frühstücksflocken des Unternehmens auf eine Stufe mit Brot und Reis gestellt werden – obwohl viele Produkte von Kellogg’s aufgrund des hohen Zuckergehalts von Experten stark kritisiert werden. Kellogg's empfiehlt das Material sogar „zur Therapie bei übergewichtigen Kindern.'"
Dabei hat eine Analyse des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) 2014 ergeben, dass Unterrichts-Materialien von Wirtschaftsunternehmen nachweislich schlechter sind als die der öffentlichen Hand. Es käme zu verkürzten oder einseitigen Darstellungen, wenn die Herausgeber bestimmte Interessen verfolgen, zudem seien Produkt- und Markenwerbung enthalten. Von 453 untersuchten Materialien erhielten 27 die Note „mangelhaft“. Davon stammten 20 aus der Wirtschaft (74 Prozent).
Mit ihren Werbemaßnahmen an Schulen würden Lebensmittelhersteller schon die kleinsten Kunden an sich binden und ihnen dabei vor allem Süßigkeiten oder Snacks schmackhaft machen; gleichzeitig stellten die Firmen diese Form der Absatzförderung als 'Engagement' für die Bildung dar, kritisierte foodwatch. „Bildungsprojekte sind für Lebensmittelfirmen nicht mehr als ein Feigenblatt, um von der eigenen Verantwortung für Fehlernährung und Übergewicht bei Kindern abzulenken. Auf der einen Seite versucht die Lebensmittelindustrie mit perfiden Marketingmethoden sogar an Schulen, Kindern möglichst viel Junkfood anzudrehen. Auf der anderen Seite inszenieren sich die Hersteller als verantwortungsvolle Unternehmen, indem sie vermeintlich uneigennützig Ernährungsbildung in der Schule unterstützen“, sagte foodwatch-Experte Oliver Huizinga.
Unter www.schule-aktion.foodwatch.de hat foodwatch eine E-Mail-Protestaktion gestartet, mit der jede/r die Forderung an die Kultusminister der Bundesländer unterstützen kann.
Autorin / Autor: Redaktion /Pressemitteilung - Stand: 25. Februar 2015