Die Macht der Hate Speech...

... und wie man sich ihr entgegenstellen kann, erklärt eine Broschüre der Amadeu Antonio-Stiftung

Das Internet ist eine der bedeutendsten Errungenschaften unserer Zeit, denn es macht in nie gekannter Weise weltweite Kommunikation möglich, sogar mit Menschen, die wir nicht mal kennen. Es dient den Menschen zum Wissensaustausch, es hilft in Diskussionen, sich über Fragen Klarheit zu verschaffen, es bewegt und erheitert uns. Aber es hat auch eine weniger erfreuliche Seite: Immer öfter werden Kommentarspalten unter Artikeln oder in Sozialen Netzwerken zu gespammt mit hasserfüllten Meinungsäußerungen, die sich nicht selten gegen Frauen, Migrant_innen, Juden, Flüchtlinge, Behinderte oder Homosexuelle richten.

Hate speech wird dieser raue und aggressive Ton genannt, der sich auf seriösen Nachrichtenwebseiten genauso breit macht wie auf Facebook, Twitter oder YouTube. Aus Debatten werden verletzende und bedrohliche Verbalkämpfe, die auch schon mal in Morddrohungen enden. Jede_r, der oder die schon einmal in eine solche Schlammschlacht hineingeraten ist, wird sich so schnell nicht wieder an Onlinediskussionen beteiligen. So verständlich dieser Rückzug auch ist, so sehr überlässt man aber dann doch denjenigen das Feld, die mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung nur so um sich werfen.

Was aber kann man tun? In der umfassenden und informativen Broschüre "Geh sterben!" versucht die Amadeu Antonio Stiftung das Phänomen Hate Speech zu definieren und wirksame Gegenstrategien zu entwickeln.

Unter dem Kapitel "Gegenstrategien" listet die Broschüre verschiedene Möglichkeiten - vor allem für Seitenmoderator_innen - im Umgang mit Hate Speech auf, die allerdings alle Vor- und Nachteile haben. Zum Beispiel:

*Ignorieren*
Der Vorteil bei der Nichtbeachtung von Hasskommentaren ist, dass die Störer_innen keine Aufmerksamkeit bekommen. Damit könnte man mit etwas Glück bewirken, dass sich die Debatten totlaufen. Der Nachteil des Ignorierens besteht allerdings darin, dass die Diskussion von lauten, aggressiven Gruppen dominiert und Diskriminierung reproduziert wird, sodass sich Minderheiten und an der Rand gedrängte Gruppen abgeschreckt aus der Diskussion zurückziehen.

*Moderieren*
Wenn Diskussionen beobachtet und gelenkt werden, können sich laut den Autor_innen Räume für plurale Debatten und echten Austausch eröffnen. Da sich Menschen, die täglich Diskriminierung erfahren, oft langfristig zurückziehen, geht ihre Perspektive auf ein Thema verloren. Eine klare Moderation kann diese Ausschlüsse verhindern. Wenn eine Nachrichtenseite Moderator_innen beschäftigt, ist das natürlich aufwändig und teuer. Und wenn problematische
Beiträge kommentarlos gelöscht werden oder andere Beiträge unkommentiert gestattet sind, besteht die Gefahr, dass Diskussionsteilnehmer_innen verzerrt dargestellt werden. Als Beispiel wird der "freundliche Honigbienen-Experte" genannt, der auch gerne mal rassistisch argumentiert. Wenn aber Beleidigungen und Kommentare abseits vom Thema gelöscht oder verschoben werden, bekommt keiner mit, dass der Honigbienen-Experte vielleicht ein Neonazi ist.

*Diskutieren*
Wenn Moderator_innen nicht nur Beiträge verwalten, sondern mitdiskutieren, können sie ihre Autorität nutzen, und Diskussionen stark beeinflussen. So können sie beispielsweise problematische Aussagen thematisieren und zusätzliche Quellen anbieten, um Falschaussagen zu widerlegen. So können sie auch jene Nutzer_innen erreichen, die an einer Debatte interessiert und für Informationen grundsätzlich offen sind. Für Forenbetreiber ist das natürlich noch aufwändiger und teurer, da dies viel Zeit und viele Nerven kostet.

*Ironisieren*
Oft findet man unter Hate speech-Kommentaren auch ironische Bemerkungen. Damit können Journalist_innen zwar Haltung beweisen und die Absurdität einiger Diskussionsbeiträge aufzeigen. Oft ist es auch ein Ventil für Frustrationen, die bei diesen Debatten entstehen. Aber bei allem Respekt vor der Wirkung von humoristischen Elementen, muss man bedenken, dass es die Diskussion und den Dialog an sich selten weiterbringt und die Fronten sich vermutlich verhärten.

Jede Redaktion nutzt mehrere Möglichkeiten, um Hasskommentaren von sogenannten Trollen zu begegnen; es ist interessant zu lesen, welche Erfahrungen die Journalist_innen von tagesschau.de oder Spiegel Online dazu in den Interviews beschreiben. Eins eint sie allerdings: Ihr Ziel ist, verbale »Abrüstung« zu betreiben und sich nicht vor Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus wegzuducken, sondern Haltung zu beweisen.

"Worte sind die Vorstufe von Taten"

Die Broschüre befasst sich mit einem wichtigen und aktuellen Thema, denn aktuell erregen Bedrohungen gegen Politiker_innen und auch Engagierte, die sich fern der öffentlichen Aufmerksamkeit für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus einsetzen, große Aufmerksamkeit. „Häufig bleibt es nicht bei Hassreden, oft sind Worte die Vorstufe von Taten“, erklärt Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz in seinem Vorwort für die Broschüre. „Dass aus ‚geistiger Brandstiftung‘ viel zu oft Gewalt wird, zeigt der sprunghafte Anstieg von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte.“

Die Broschüre ansehen

Stichworte

frauenverachtend  Mobbing im Netz  YouTuberInnen gegen Hass