Ob Streitereien zwischen Kindern, bei denen die größeren auf die kleineren losgehen, oder dreiste Vordrängler an der Supermarktkasse - wenn wir in eine Situation geraten, in der es ungerecht zugeht, löst das Gefühle aus. Entweder wollen wir den ungerecht Behandelten helfen oder die Übeltäter_innen bestrafen. Warum wir uns aber für die eine und nicht die andere Variante entscheiden, haben nun Forscher_ innen an der University of Wisconsin-Madison untersucht und in einer Reihe von Studien herausgefunden, dass der Grad an Mitgefühl darüber entscheidet, ob wir uns eher um die Schwachen kümmern oder mit der Bestrafung der Täter_innen beschäftigt sind.
"Egal, ob Hilfe oder Bestrafung - beides hat seinen Ursprung im Mitfühlen mit anderen. Und dies besteht aus mindestens zwei Komponenten, einem Gefühl, sich in das Leid der anderen hineinversetzen zu können, und einer vernunftgeleiteten Motivation, dieses Leid zu lindern", erklärt Studienleiterin Helen Weng von der University of California, San Francisco. "Sicher klingt es komisch, dass Bestrafungsverhalten aus Mitgefühl entstehen kann, aber wenn das Ziel ist, das Leiden anderer zu lindern, kann das auch beinhalten, dass wir die Strafe als Mittel wählen, damit die Ungerechten ihr Verhalten in Zukunft ändern."
Um die Auswirkungen von Mitgefühl auf das Verhalten zu testen, zogen Weng und ihre Kolleg_innen Ergebnisse aus früheren Studien hinzu, bei denen herausgekommen war, dass schon zwei Wochen meditatives Training bei denen Mitgefühl erlernt wurde, zu messbaren Veränderungen im Gehirn führen kann. Für die aktuelle Untersuchung wurden zwei Testsituationen hergestellt: Die Proband_innen spielten einmal das "Hilfs-Spiel" und dann das "Bestrafungs-Spiel", bei beiden ging es darum, mit Geldbeträgen entweder zu helfen oder zu bestrafen.
In beiden Spielen sahen die Teilnehmer_innen eine Online-Szene, in der ein Spieler einen Geldbetrag mit seinem Mitspieler unfair aufteilte. Im "Hilfs-Spiel", konnten die Beobachter_innen entscheiden, entweder nichts zu tun oder dem Opfer einen Teil ihres Geldes zu geben. Im "Bestrafungs-Spiel" konnten sie dagegen entscheiden, nichts zu tun oder den ersten Spieler zu "bestrafen", indem sie ihm das Geld wegnahmen. Die erste Studie untersuchte 260 Menschen, die zwar keine Meditationsausbildung in Mitgefühl erhalten hatten, aber von sich angeben hatten, einfühlsam zu sein. Wie zu erwarten, halfen sie eher dem Opfer und im "Bestrafung-Spiel" bestraften sie weniger.
In der zweiten Studie mit 41 Teilnehmer_innen erhielt eine Gruppe Mitgefühls-Training mit Meditationsübungen, die sich auf den Aufbau mitfühlender Emotionen und pro-sozialen Verhaltens gegenüber anderen konzentrierte. Eine andere Gruppe erhielt stattdessen ein Training, das eine kognitive Neubewertung einübte, wobei neue Sichtweisen erlernt wurden, um negative Emotionen zu verringern. Jede Gruppe praktizierte ihre Übungen zwei Wochen lang für 30 Minuten pro Tag mittels geführter Audioanweisungen über das Internet.
Die Mitgefühls-Meditation übt das Mitgefühl mit verschiedenen Arten von Menschen ein - mit einem geliebten Menschen, mit sich selbst, einem Fremden und einer "schwierigen Person", mit der es Konflikte gibt. Auf diese Weise soll eine Art "Mitgefühls-Muskel" ausgebildet werden. Es zeigte sich, dass die Meditierenden bereits nach zwei Wochen Training hilfsbereiter gegenüber den Opfern im Spiel agierten als die, die die kognitiven Übungen durchgeführt hatten. Für Weng der Beweis dafür, dass schon kurze Intervalle der Mitgefühls-Meditationspraxis zu einer Erhöhung der Hilfsbereitschaft führt. Es gab allerdings keine Unterschiede im Bestrafungsverhalten zwischen beiden Gruppen, was darauf hindeutet, dass in dieser kurzen Trainingszeit, keine der beiden Methoden Einfluss auf das Strafverhalten hatte.
Weng und ihre Mitarbeiter_innen wünschen sich, dass diese Ergebnisse in der Ausbildung von Menschen in helfenden Berufen - besonders im Gesundheitsbereich - Anwendung finden. Zu verstehen, was Menschen motiviere, selbstlos zu sein könne nicht nur unsere eigenen Verhaltensweisen ändern, sondern auch eine Rolle spielen in gesellschaftlichen Institutionen - einschließlich der Rechtsprechung. Es könne darüber hinaus auch der Forschung helfen, Mittel und Wege zu finden, um Mitgefühl zu kultivieren.
"Mitgefühl auszudrücken und uns selbstlos zu verhalten scheint im Repertoire eines jeden Menschen vorhanden zu sein", fügt Richard J. Davidson, Senior-Autor der Studie, hinzu. "Wir können einfache Methoden anwenden, um diese Eigenschaften zu aktivieren und zu pflegen, um in Situationen des täglichen Lebens - wie in der Bildung, Gesundheitsversorgung und am Arbeitsplatz - das Klima und die zwischenmenschlichen Beziehungen positiv zu beeinflussen."
Die Studie wurde veröffentlicht in der Zeitschrift PLoS ONE.
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 21. Dezember 2015