Zu Facebook – ein Prosapoetischer Text

Einsendung zum Wettbewerb #netzheldin von fiona, 18 Jahre

Ich habe etwa 300 Freundschaftsanfragen. Es ist eine angesammelte Liste mit Namen und Gesichtern, ich müsste mal auf annehmen klicken, sagen meine Freunde. Ich soll bestätigen, dass ich mit diesen Gesichtern befreundet bin. Dabei bin ich es noch nicht mal mit allen, die Facebook bereits als meine Freunde führt. Die meine Posts sehen können. Und die meine Posts weiterreichen durch ihre Likes und Kommentare, so wie ich die Posts meiner Freunde in die Newsfeeds der mit mir als befreundet geltenden befördere, ohne es groß verhindern zu können. Ich will nicht unbedingt die Shoppingbilder aus New York sehen. Oder die Kommentare wie schick und edel und hübsch andere die neuen Riemchensandalen finden. Und mich erinnern, wie ich angestarrt wurde, fast feindselig, neulich, als ich auf jemanden zuging und sagte, dass ich sein Outfit sehr gelungen fand. Einfach weil’s so war. So was macht man nicht „draußen“. Schon klar. Da sieht es ja kein anderer, da ist es nicht der eine Like, der den Post zu etwas besonderem macht. Da muss man dem anderen ins Gesicht gucken und vielleicht was dazu sagen. Ob jetzt Danke oder Ich weiß oder Verpiss dich.
Auf Facebook werden Profilbilder zu Götzen, mit Ich liebe dich, Kussmündern, Herzchen und Blumen geopfert, die Angebeteten unnahbar wie entrückt. Als wenn sie so wären, vollkommen, makellos. Was ist mit den Tagen an denen sie in Rosen kotzen oder zu Hause vorm Fernseher sitzen und Tempos vollrotzen und Schoko essen, weil sie sich selber so hassen. Dann durch die Kommentare scrollen, Profilbilder schauen, die der Andern, und denken, so hübsch bin ich nicht. Auf fremden Altären opfern in der Hoffnung, etwas Feenstaub fiele so auf sie ab. Um am nächsten Morgen ein neues Selfie zu posten und meinen Newsfeed mit sexy Bildern zu schwemmen, die sagen, Ich bin schön, nur darauf kommt es an.
Schlimmer als all diese Bilder, die sagen, ohne Schönheit, ohne Sex, ohne Likes gibt es kein LEBEN, sind die Dinge die fehlen. Nicht nur, dass mir wohl ganz offensichtlich was fehlt zum Glücklichsein, ohne Sex und Likes und Schönheit ein bisschen, was mir wichtig und wertvoll ist, kann gar nicht existieren. Auf Facebook zumindest. Wer liked schon Posts über Bücher oder kommentiert mehr als braunen Mist oder das obligatorische Gut-Mensch-Tum unter kritische Gesellschaftsanalysen. Soll Facebook nicht das Leben spiegeln? Ist das nicht, was meine „Freunde“ mir sagen? Mein Leben, das facebookt nicht gut, der Marktwert ist zu gering. Dabei hört man mir gerne zu, wenn ich erzähle, hier draußen. Lacht und will Bilder sehen. Analog.
Man ruft auch an oder schreibt, in der kann-ich-doch-nicht-posten Kategorie. Von Angst vor Operationen, dem Schmerz bei Verlust oder der Freude über nen Keks. Und egal, wie viele Likes mein Facebook hat und wie oft ich ohne Resonanz poste, so dass ich schon denke, es gibt nur noch mich, diese Anrufe kommen und die Menschen sind doch da. Und vollständiger, finde ich.
Ich schreibe nie auf Facebook Gute Besserung oder Gratuliere. Ich fahre hin und rufe an. Manchmal denk ich, wie dumm von mir, aber dann – gibt es Menschen, die bleiben die Nacht wenn‘s sein muss, ohne nen Selfie zu posten, denen meine Dankbarkeit reicht, die keine tausend Likes brauchen, um zu wissen, sie retten gerade Leben. Die wissen, auch vielleicht gerade ohne Facebook kann man glücklich sein.
Und die gerade deshalb auf Facebook auf jedes „Dich will hier eh keiner haben, spring doch aus dem Fenster“ mit einem klick auf "melden" reagieren, Kampagnen teilen, die psychische Krankheiten erklären und Mut geben, immer wieder Dinge posten, die anscheinend keiner lesen will über Respekt und Würde und Gerechtigkeit. Wenn ich dann auf Gefällt mir drücke, tue ich das im vollen Bewusstsein, dass mit ein bisschen Glück dieser Beitrag jetzt auch meine „Freunde“ in ihrer Facebookwelt erreicht und mit noch ein bisschen mehr Glück irgendwann hier draußen Molotowcocktails löscht.

#Weilallesmöglichist

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Autorin / Autor: fiona