Stell dir vor, du hast Heißhunger auf was Süßes, aber kein Geld dabei, und der Kiosk-Besitzer ist gerade nicht in Sichtweite. Greifst du zum Schokoriegel, der verlockend auf der Ladentheke liegt, oder tust du es nicht? Wahrscheinlich lässt du ihn - wie die meisten Menschen - liegen. Aber warum? Das untersuchten jetzt Psycholog_innen der Harvard University. Offenbar liegt unsere Neigung zum korrekten Verhalten nicht darin begründet, dass wir denken, es wäre falsch oder zu riskant, sondern weil wir davon ausgehen, dass es gar nicht möglich ist.
"Wenn die Leute etwas Unmoralisches tun, neigen sie dazu zu sagen: 'Nein, das kann nicht richtig sein' - oder - 'ich kann es nicht glauben'", sagte Jonathan Phillips, einer der Studien-Autoren. Das Gehirn reagiere auf diese Handlungen wohl ähnlich wie auf andere unmögliche Dinge, zum Beispiel ein Versprechen, dass ein Hut in einen Schokoriegel verwandelt werden könne, erklären die Wissenschaftler_innen. Und sie vermuten dahinter auch einen guten Grund.
"Wir denken, das könnte den Menschen tatsächlich helfen, moralisch in der realen Welt zu handeln", sagte Phillips. Vielleicht sei es einfacher, das Richtige zu tun, wenn das Gehirn so konzipiert ist, dass es "das Falsche" so behandelt als wäre es unmöglich. "Denn wenn du zugibst, dass etwas möglich war, könnte es anfangen, sich ziemlich verlockend anzufühlen", erklärt Phillips.
Seiner Theorie nach haben wir zwei Stimmen in unseren Köpfen, die uns Handlungen vorschlagen - eine intuitivere, die die Gesetze der Moral respektiert, und eine mehr beratende, die an den Gesetzen der Physik festhält und das Unmögliche ausschließt. Um zu testen, wie Menschen auf unmoralische und unmögliche Ereignisse reagieren, führten Cushman und Phillips Experimente durch, bei denen sie den Teilnehmer_innen ein Szenarium präsentierten, in dem eine Person nach einer Autopanne zum Flughafen kommen muss. Sie zeigten den Versuchspersonen eine Reihe von potenziellen Lösungen auf, die entweder unmoralisch waren oder physikalisch unmöglich (wie zum Beispiel die Verwandling eines Huts in einen Schokoriegel). Die Proband_innen sollten dann abstimmen, welche Lösung die wahrscheinlichste sei. Eine Hälfte der Teilnehmer_innen sollte schnell reagieren - in nur 1,5 Sekunden - während die andere Hälfte 1,5 Sekunden warten sollte, bevor sie antworten.
Die Ergebnisse lagen sehr weit auseinander: Von den Teilnehmer_innen mit mehr Zeit zum Nachdenken, nannten ein Viertel unmoralische Handlungen unmöglich. Die Teilnehmer_innen unter Zeitdruck hingegen bewerteten sogar über die Hälfte der unmoralischen Lösungen als unmöglich.
"Wenn die Leute Zeit haben, darüber nachzudenken, werden sie ihren wohlgeformten, begründenden Verstand entscheiden lassen, welche Dinge möglich und welche unmöglich sind", sagte Phillips. "Aber wenn sie schnell antworten müssen, haben sie keine Zeit, das zu tun, also müssen sie sich auf ihre Voreinstellung verlassen, welche Dinge am ehesten möglich sind."
Warum Menschen Dinge für möglich oder unmöglich halten, habe damit zu tun, dass wir nicht mit wissenschaftlicher oder philosophischer Genauigkeit auf die Welt blicken. Gewöhnliche Menschen wollen praktikable Lösungen, und praktisch ist in ihren Augen, nicht unmoralisch oder irrational zu sein. Es sei also ein praktischer Ansatz zur Entscheidungsfindung, einfach all diese Dinge unmöglich zu nennen, und sich nur auf das zu konzentrieren, worin man seine Zeit investieren möchte, erklärt der Psychologe Fiery Cushman.
Die Studie wirft eine Reihe von zusätzlichen Fragen auf und könnte die Tür zu einem neuen Verständnis öffnen, warum manche Menschen immer wieder unmoralische Handlungen begehen. Sie könnte auch eine mögliche Erklärung dafür liefern, warum Religion oft eine erfolgreiche Strategie für Drogenaussteiger sei: Indem der Drogenkonsum als unmoralisch deklariert wird, könnten Menschen ihn als etwas behandeln, was unmöglich ist, und so leichter von den Drogen loskommen, vermuten die Forscher.
Allerdings sehen sie auch den blinden Fleck in ihrer These, denn schließlich ist es ja nicht unmöglich, dass Menschen unmoralische Dinge tun ;-). Dazu erklären Cushman und Phillips, dass die Menschen tatsächlich zwischen zwei Bewertungssystemen umschalten - das eine ist durch die eigene Moral beschränkt und das andere erlaubt es uns, unmoralisches Verhalten in anderen zu betrachten. Das erste benutzen wir offenbar nur, um unsere eigenen Handlungen und die uns Nahestehender zu regeln. Das andere System, bezogen auf das Verhalten von anderen sei nicht so konstruiert, wie es in der Studie dargelegt wurde. Zum Glück, denn es wäre auch ziemlich schrecklich, niemals in Betracht zu ziehen, dass einem etwas Schlimmes passieren könnte, so die Forscher.
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 19. April 2017