Meine liebenswerte Konkurrenz

von Lara Sieg, 22 Jahre

Wenn es eine Sache gab, auf die ich regelrecht stolz war, dann auf meine Fähigkeit, Pläne zu schmieden. Pläne, die nur den nächsten Tag betrafen, Pläne, die ein paar Monate abdeckten, und – meine Spezialität – Pläne, die mich über mehrere Jahre hinweg von der unsicheren Seite des Lebens fernhielten. Und so kam es, dass ich bereits am 21. Dezember 2091 wusste, dass ich meinen Nachbarn William in genau einem Jahr heiraten würde. Nächste Woche würde ich ihn zum Tee einladen, die Woche danach ins Kino mitnehmen und ein paar Tage später hätte er sich dann das Recht verdient, meinen Antrag zu vernehmen. Er wusste noch nichts von diesem Abschnitt seiner Zukunft, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein vernünftiger Mensch irgendetwas dagegen einzuwenden haben könnte. Und William war ein vernünftiger Mensch.
Aber noch bevor ich ihm die erste Einladung zum Tee durch seinen Türschlitz stecken konnte, kam alles anders. So anders, dass nicht einmal ich, der Meister aller Pläne, mich darauf hätte vorbereiten können. William und ich, die zukünftigen Verlobten, sollten auf einmal Konkurrenten werden. Ich hasste jeden, der potenziell dafür verantwortlich war, aber es gab nichts, was ich hätte tun können. Es war die einzige Einladung, die niemand ausschlagen durfte: „Finden Sie sich morgen, dem 25. Dezember 2091, bitte um 10 Uhr morgens im Zentrum für Arbeit ein, wo Ihre Eignung für eine Arbeitsstelle im Folgejahr überprüft werden wird. Ihr Konkurrent ist in diesem Jahr William Mathias Gerstenkorn. Wie gewohnt wird der Test in drei Teilen ablaufen, von denen der erste haptische, der zweite logische und der dritte soziale Kompetenzen überprüfen wird. Bei Nichterscheinen wird der Platz Ihrem Konkurrenten direkt zugewiesen.“ Was William wohl darüber denken würde? Ich wünschte, ich hätte zu ihm gehen und mit ihm reden können, aber das ging natürlich nicht, bevor ich ihn nicht zum Tee eingeladen hatte – und das konnte ich erst in vier Tagen tun. Er würde mich wahrscheinlich für vollkommen verrückt halten, wenn ich so viel früher als geplant vor seiner Tür aufkreuzte. Das Problem war nur, dass ich noch nicht wusste, wer von uns beiden zukünftig das Geld verdienen sollte, mit anderen Worten, ich wusste nicht, ob es klug wäre, ihn morgen freiwillig gewinnen zu lassen.
„Sie haben fünf Minuten Zeit, um so viele Deckel wie möglich auf die vor Ihnen liegenden Tuben zu schrauben. Fangen Sie an.“ William und ich standen uns direkt gegenüber. Er hatte mich bis jetzt noch nicht eines einzigen Blickes gewürdigt, aber ich hatte ihn genau durchschaut: Er wollte es mir nicht zu einfach machen. Seine Taktik funktionierte so gut, dass ich mich kaum auf die Aufgabe vor mir konzentrieren konnte. William war schnell, sehr schnell, die Tubendeckel flogen geradezu durch seine Hände. Und noch bevor ich selbst eine Tube in die Hand nahm, hatte ich verstanden. Es war ganz klar: William wollte derjenige sein, der unser Geld verdiente. Wenn das sein Wunsch war, hatte ich nichts dagegen einzuwenden. Mit einem zustimmenden Nicken verschränkte ich die Arme hinter dem Rücken und beobachtete William mit einem stolzen Gefühl in der Brust. Er war wirklich ausgesprochen schnell.
„Wir stellen Ihnen nun nacheinander mehrere Aufgaben, die dazu konzipiert sind, Ihre logischen Fähigkeiten zu testen. Wer die Antwort als Erster gibt, bekommt einen Punkt. Wer zuerst fünf Punkte erzielt, gewinnt diese Runde.“ Die erste Aufgabe war unglaublich einfach, ich hätte die Antwort sofort in den Raum werfen können. Aber natürlich konnte ich William an dieser Stelle keinen Strich durch seine Rechnung machen. Ich lächelte ihm aufmunternd zu. Doch es kam und kam einfach keine Antwort von ihm, da stand er nun, mit gerunzelter Stirn, nachdenklichen Augen und einem fast wütenden Blick. Wollte er doch, dass ich das Geld verdiente? Er war so schwer zu durchschauen! Die Aufgabe wurde wiederholt. Und noch immer weigerte sich William, sie zu beantworten. Er warf mir einen prüfenden und verärgerten Blick zu. Wie auf Kommando rief ich die richtige Antwort in den Raum. Bei der zweiten Frage zögerte ich erneut, vielleicht war es nur ein Trick gewesen, vielleicht hatte er mir nur eine Antwort gönnen wollen, und würde nun wieder das Steuer in die Hand nehmen, das Geld für uns verdienen, aber William stand einfach nur da – und schwieg. Ich war so überfordert mit der Situation, dass ich diese und zwei weitere Fragen in Sekundenschnelle beantwortete. Aber William sah mit jeder von mir gegebenen Antwort wütender aus. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Deswegen zögerte ich, als wir die letzte Aufgabe bekamen. Nur weigerte er sich schlicht und einfach seinen Mund aufzumachen. Was konnte ich tun? Immerhin würden wir alles in drei Tagen bei unserer Tasse Tee besprechen können. Bei dem Gedanken fühlte ich mich besser – und gab die richtige Antwort.
„Der letzte Bereich testet Ihre sozialen Kompetenzen. Sagen Sie in einem Satz, warum auch der andere Kandidat, nach allem, was Sie heute gesehen haben, potenziell nicht ungeeignet für unsere Position wäre.“ Das war nun etwas, was ich wirklich nicht sagen konnte, ohne mir hundertprozentig sicher zu sein, wer von uns beiden nun das Geld verdienen sollte. Zum Glück machte William den Anfang. Er sah noch immer wütend aus. In drei Tagen würde ich ihn aufheitern können. „Er kann logische Aufgaben gut lösen.“ Er kann logische Aufgaben gut lösen, das hatte er gesagt, er kann logische Aufgaben gut lösen. Ein warmes Gefühl erfüllte mich. William wollte, dass ich es in die Hand nahm. Er hatte sich auf mich verlassen. Ich würde ihn nicht enttäuschen: „Ich sollte die Position an Williams Stelle übernehmen.“ William sah nicht überzeugt aus. Ich lächelte genügsam. Wer konnte ihn schon verstehen?
Testauswertung des 25. Dezembers 2091. In der Auswahl zwischen dem Roboter-Kandidaten Mick2.7 und seinem menschlichen Konkurrenten William Mathias Gerstenkorn ist folgende Entscheidung gefallen: Obwohl Mick2.7 deutlich bessere logische Fähigkeiten aufwies als sein Konkurrent, lassen seine Weigerung, einfache haptische Aufgaben auszuführen, sein durch und durch unkameradschaftliches Verhalten und seine perfiden Hinauszögerungstaktiken es nicht zu, dass er für unsere Position in Frage kommt. Er wird zum Ersten des nächsten Jahres von Grund auf neuprogrammiert werden.

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Autorin / Autor: Lara Sieg, 22 Jahre