Auf der  Suche nach Perfektion

Beitrag von Finn, 16 Jahre

„Sie sind der Nächste, Herr Weber“, erklang die Stimme der Frau, die über meine Zukunft entscheiden würde.

Ich rückte noch einmal meine Krawatte zurecht und begab mich dann zum Besprechungsraum.

„Schließen sie die Tür“, forderte mich Frau Lang auf.

„Wie lange schreiben Sie jetzt nochmal für unser Magazin?“, fragte sie mich, während sie mich durch ihre Brille hinweg von oben bis unten musterte.

„Seit etwa zehn Jahren“, gab ich etwas verunsichert zurück.

„Interessant“, murmelte sie, während sie einen Bogen ausfüllte.

„So, Sie wissen hoffentlich, was auf Sie zukommt. Nur noch die Besten der Besten können ihren Arbeitsplatz behalten. Stichwort: Belastbarkeit, Flexibilität, Fleiß und Disziplin. Wenn heute etwas in New York passiert, dann waren Sie gestern da und Ihr Bericht war bereits vorgestern fertig. Ihnen muss bewusst werden, dass Ihre Konkurrenz um diese Stelle global ist. Zu jederzeit, überall auf der Welt, stehen Leute zur Verfügung die Sie ersetzen können. Nur ein Anruf und Sie sind ersetzt. Verstehen Sie? Nur ein Anruf!“

„Ich gebe mein Bestes, Frau …“, weiter kam ich nicht, denn sie fiel mir ins Wort.

„Ihr Bestes, das ich nicht lache. Sie sind gut - keine Frage.“

„Danke“, antwortete ich zögerlich.

„Gut reicht aber nicht“, sie schoss aus ihrem Stuhl empor und beugte sich zu mir vor: „In den meisten Branchen übernehmen Roboter die Führung. Wir, als Unterhaltungsmagazin, müssen deren Tempo standhalten. Die Menschen leben durch die Roboter ein ganz anderes Tempo; dem müssen wir uns anpassen können.“

„Aber es ist unmöglich einen Bericht, in der von Ihnen vorgesehen Zeit, zu recherchieren und zu verfassen.“

„Unmöglich? Ist das etwa Ihre Arbeitshaltung? Wenn Sie weiter für mich arbeiten wollen, dann sollten Sie solche Wörter aus Ihrem Wortschatz streichen. Passen Sie gut auf: Die Menschen leben entweder stinkreich, bedient von den kleinen technologischen Wundern in ihrem Penthouse oder in der Gosse. Die einen, die Geld haben, besitzen zu viel Freizeit; die anderen wollen am liebsten die Realität vergessen. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Menschen zu unterhalten, zu entführen in eine andere Welt, eine andere Dimension, Träume zu erwecken. Das ist Ihre Aufgabe und nichts anderes.“

„Ich werde mich bemühen“, doch als ich diese Worte ausgesprochen hatte, merkte ich, wie sich ihre Stirn in Falten legte.

„Ich glaube, Sie haben mich nicht wirklich verstanden. Aber das spielt erst später wieder eine Rolle. Bitte folgen Sie mir“, sie verließ den Raum und stöckelte durch den Flur zu einem Raum mit lauter Sportgeräten.

„Sie werden sich einigen Tests unterziehen müssen. Ihr Erfolg oder Misserfolg spiegelt wieder, ob Sie geeignet sind, für ein solches Magazin zu schreiben.“

Sie verließ den Raum.

Die Tür öffnete sich und eine graue, metallische Gestalt auf Rädern betrat den Raum.
„H-A-L-L-O, ich bin R49, ich werde die Tests mit Ihnen durchführen. Bitte ziehen Sie diese Sportbekleidung an und begeben sich auf das Laufband.“

„Kann ich nicht meine eigenen Klamotten verwenden?“

„Nein, tut mir leid, in sie sind spezielle Sender eingebaut, die es mir erlauben, eine genaue Prognose von Ihnen zu erstellen.“

Wiederwillig griff ich nach den Klamotten.

Dann begann der Test. Ich durfte eine Stunde auf dem Laufband verbringen. Völlig verschwitzt und außer Atem stieg ich von dem Laufband.
„Weiter geht’s. Auf den physiologischen Test folgt ein mentaler Test und danach werden Sie mir wohl oder übel noch einige Fragen zu ihrem Privatleben beantworten müssen.“, der Roboter R49 wirkte geradezu zufrieden, mich so auseinander zu nehmen.

„Wieso führt diesen Test eigentlich kein menschlicher Psychologe durch?“, fragte ich ihn.

„Naja, das ist doch klar“, gab R49 zurück.

„Menschen sind viel zu emotional und unkonzentriert. Sie übersehen die wesentlichsten Teile bei einer solchen Analyse. Ich kann gleichzeitig Ihre Gestik und Mimik analysieren und dabei auch noch Ihre Aussagen bewerten, bzw. einstufen. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich unser Gespräch beliebig oft in meinem Speicher wiederholen kann. Lassen Sie uns nun bitte voranschreiten.“

Nachdem er mich einige Stunden befragt hatte, fiel ich fast von meinem Stuhl. Mein Kopf brummte.
„Zum Abschluss Ihrer Analyse muss ich Sie bitten, die Nacht in einem unserer Betten zu verbringen, um eine genaue Schlafanalyse erstellen zu können.“

„Na, von mir aus“, flüsterte ich.

„Gut, dann bringe ich Sie in Ihr Zimmer.“ R49 sauste an mir vorbei.

„Bitte folgen Sie mir.“

Ein dunkler, kalter, grauer Raum wartete auf mich. Lediglich mit einem Bett und einer Lampe ausgestattet.
„Ich wünsche Ihnen einen guten Schlaf“.

„Danke R49“ …

Ich saß wieder im Besprechungsraum.

Die Tür flog auf, Frau Lang betrat den Raum und ließ einen Stapel an Unterlagen auf den Tisch knallen.
Dann wollen wir Ihre Untersuchung mal auswerten. R49, wo bleibst du?

Der Roboter fuhr in den Raum. „Da bin ich“, erwiderte er.

„Ja nun, die Ergebnisse“, forderte sie den Roboter auf. „Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“

R49 begann: „Körperlich sind Sie soweit fit. Den Test haben Sie jedenfalls mit überdurchschnittlichen Leistungen bestanden. Auch Ihr Privatleben stellt keine Beeinträchtigung für Ihren Job da. Ihre Eltern werden Sie nicht pflegen müssen, da beide bereits tot sind und Kinder haben Sie auch keine. Auch die Schlafanalyse haben Sie zur vollsten Zufriedenheit abgeschlossen. Insgesamt sind die Artikel, die Sie geschrieben haben, auch immer sehr gut bei der Leserschaft aufgenommen worden. Doch nun zu den unerfreulichen Nachrichten: Bei der mentalen Analyse habe ich leider herausgefunden, dass Sie oft große Selbstzweifel hegen, was Ihre Arbeit angeht. Dieser Hang zur Perfektion wird Ihren Untergang in einer immer schneller werdenden Welt darstellen und daher lautet mein Urteil“, er wandte sich zu Frau Lang „Herr Weber ist nicht mehr länger geeignet, dem Beruf eines Redakteurs nachzugehen.“

„Gut, Herr Weber, damit muss ich mich von Ihnen verabschieden.“

„Aber, Frau Lang ...“

„Bitte versuchen Sie es gar nicht. Denn Zeit ist Zukunft.“
 


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Autorin / Autor: Finn, 16 Jahre