Das Meiste kommt aus den Beinen, der richtige Auftreffwinkel ist auch wichtig, aber das meiste kommt wirklich aus den Beinen. Und aus dem Kopf natürlich. Der Dickschädel. Zu irgendwas muss er gut sein. Fein säuberlich ausgesiebt aus dreistelligen Bewerberzahlen für äußert einstellige Aufnahmemöglichkeiten, zur Decke gestapelte Bewerbungsdokumente mit Anschreiben, thematisch formuliert irgendwas zwischen Popokriechen und copy-paste-Einfügungen aus dem ersten Google-treffer, wenn man die Begriffe »Bewerbung« und »Anschreiben« einfügt, einem rigorosen Einstellungstest, der darin besteht, Bretter mit Kopfnüssen zu zerschlagen, mit graduell immer dichter werdenden Hölzern von Fichte bis Elsbeere, Eiche bis Buche, einem rohrschachtestartigen Bild danach, das tausend Deutungen zu lässt, die mehr über den eigentlichen Betrachter aussagen, als über das viel, viel eigentlichere Bild, schlussendlich die dreiköpfige Jury, bestehend aus Quantenphysiker Robert E. Herman, Mikrobiologin Kathrin P. Gordon und Samuel L. Bernstein, Professor für Linguistik und Scharlatanerie, all das bis endlich eine Entscheidung fällt.
Und eine Entscheidung ist gefallen: Gazpacho der 22nd-Century-Clown hat gewonnen. Wie? Was gewonnen? Dazu kommen wir noch.
Hier also Gazpacho der 22nd-Century-Clown so wie man sich einen Clown im 22. Jahrhundert vorstellt: Clownsnase, Clownschuhe, Clownschminke nur ein bisschen digitalisierter, ein bisschen technologischer, ein bisschen mehr in Anglizismen verwickelt und vom Komfort der schaffenden Technik abhängig. Am Reverse des Lagerfeld-Retro-Sackos eine Blume, kein Wasser darin, das ist soooo 21. Jahrhundert, nur Twittertweets. Von Donald Trumps Ur-Ur-Enkel King J. Trump. Und auch die quiekenden Clownschuhe sind noch da, nur diesmal von Nike und mittlerweile sehr beliebt bei identitätsunsicheren Jugendlichen.
Titanium, Diamant, Kevlar Technologie, Stein, Seife, Stahl, verdächtig fiktional und grenzwertig fern von Realität und Wissenschaft bricht alles durch Gazpachos patentierter On-Point-Technik, die er sich durch jahrelanges Training in einem tibetatenischen Shaolinkloster angeignet hat. Nichts, was dadurch nicht bricht, nichts, was gegen diesen zweibeinigen, clownskostümtragenden 6,5 Millimeter-Stirn-Rambock standhalten kann.
Ein Klatschen über allem, ähnlich wertschätzend wie das, was tagtäglich in Flugzeugen passiert, einfach nur, wenn der Pilot seinen Job tut, zahnlose Bewunderer, fettleibige Diabetes-Kinder, die sich Popcorn in den Mund stopfen, ein gelegentliches Auflachen, als der Inhalt in die Schöpfe der Vorderen, besser bezahlenden Plätze landet, Eltern, die halb desinteressiert mitlachen, in gespannter Erwartung, als Gazpacho der 22nd-Century-Clown zusammen mit Columbine und Pierrot in ein unterdimensioniertes Auto steigen und die Showfläche umkreisen, nachdem ein paar Dick-und-Doof-Slapstick-Gags, die möglichst viele Bananen und andere Gegenstände zum Ausrutschen enthalten, fallen.
Doch irgendwann gehen sie aus, all die Bananenwitze und Stolperfallen, all die Charlie-chaplin-Und-Konsorten-Imitationen, all die komödiantischen Einlagen und Twitter-Tweets der Marke King Trump und Gazpacho schlägt endlich zum Finale an.
Die Menge jetzt ruhiger, im Lichtspiel der kreisenden Scheinwerfer über der Tribüne und der Dubstep-Zirkusmusik. Pierrot, Columbine und Gazpacho bauen eine Wand auf. Backstein für Backstein, das Publikum weiß Bescheid, hat es vorher auf den Prospekten gesehen, sitzt jetzt da in gespannter Erwartung, sieht es vor sich, als die Scheinwerfer die Zeltmitte beleuchten, die drei Clowns nun loslegen, hier also jetzt die Backsteinwand, hier also Gazpacho wie er mehr als überdeutlich Dehnbewegungen macht, den Hals dabei von links und rechts biegt, mit seinen Händen nach seinen Zähen greift dabei kopfüber, in den Sand fällt und steckenbleibt.
Ein lautes Lachen. Hahaha. Columbine und Pierrot helfen auf, Klopfen noch überdeutlicher den Sand von seiner Schulter, da ein weiteres Lachen, da das Trommelsolo und die Zuspitzung zum Finale der ganzen Nummer, sowohl metaphorisch als auch real gemeint. Als er sich wieder in Position begibt, mit den Füßen scharrt wie ein Stier, wider der Wissenschaft und cartoonartig Staub hinter sich aufwirbelt, spitzt sich das Trommelsolo immer mehr zu, sich die Pausen der Schläge immer mehr verkürzen, der Countdown im Geiste des Publikums immer weiter läuft: 9 ... 8 ... 7 ... 6 ... 5 ... 4 ... 3 ... 2... 1 ...
Hier also sein Kopf vertikal hindurch, hie also ein Loch an beiden Enden, hier also seine verdächtig nach menschlicher Hybris aussehende Grenze. An einem Ende noch lebend, an der anderen Seite das Gegenteil davon: tot. Wirklich tot. Mausetot. Tot im Sinne von tot, also wirklich: tot. Und die Realisation setzt ein. Die ersten unsichtbaren Fragezeichen in der Luft, als Gazpacho auch nach mehrsekündigen Rufen und Handzeichen der anderen Clowns, nicht reagiert, das Publikum währendessen unwissend weiter lacht und weiter lacht, weil andere lachen und solange sie weiter lachen, auch andere weiter lachen werden, weil es wirklich ein lustig Anblick ist, so wie er da so baumelt, bis er das urplötzlich nicht mehr ist, die Realisation dem Kontext folgt, erst in der Mitarbeiterschaft, dann beim Publikum, das Licht überhaupt nicht überraschend ausfällt, Arbeiter und Techniker hinzustürmen, mit einem Handzeichen davor dem Zirkusdirektor signalisieren, dass eine Ablenkung nötig ist.
Und sie kennen es, das Handzeichen. Ein ganz spezielles Handzeichen für ganz spezielle Situationen, so speziell, das es unverwechselbar ist, die Situation unverwechselbar ist, irgendwas zwischen dem Galgenzeichen und einem Daumen nach oben, um genau zu sein. Die ersten Techniker sehen es, reagieren, räumen den Schutt weg, tragen Gazpacho an beiden körperenden weg. Als der Staub sich absetzt, ist nichts mehr davon übrig.
Kurz vor seinem Tod erinnert er sich. Er erinnert sich an die weisen Worte seines Vaters. In Gebärdensprache, denn dieser hier ist taub, an das stoppelige Kinn, die blutunterlaufenen Augen, ganz nah, an dessen gescheiterten Träume, die er mehr oder weniger bewusst in ihn hineinprojiziert hat und Gazpacho mehr oder weniger bewusst angenommen hat, »Was klingt italienisch?«, hat er ihn gefragt, »Spaghetti?«, denn Gazpacho ist kein echter Italiener, wie man ab diesem Zeitpunkt vielleicht vermuten kann, und auch keine andalusische Suppe.
»Mozzarella?«
»Gorgonzola?«
»Tiramisu?«
»Gazpacho.«.
»Gazpacho?«
»Gazpacho.«
»Also Gazpacho der Clown«, ein einvernehmliches Einverständnis, als er seinen Kopf im Namen des Entertainment und der Dinge, die sich nie ändern werden, in die nächste Spanplatte eines futuristisch anmutenden Baumarktes rammt.