Geräusche, Gerüche, Bilder - täglich strömen tausende Sinneswahrnehmungen auf uns ein, aber wieviele davon werden tatsächlich in unserem Gedächtnis gespeichert? Fabian Hutmacher und Prof. Dr. Christof Kuhbandner vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg versuchen, die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses auszuloten. In einer kürzlich erschienenen Studie stellten sie sich der Frage, wie gut wir uns an unbeachtete, unwichtige und beiläufig wahrgenommene Alltagsgeräusche erinnern können. Die Antwort: Wir merken uns mehr, als bisher angenommen.
*Geräusch-Erinnerungen*
Um welche Art von Geräusch-Erinnerungen es bei der Studie geht, erklärt Fabian Hutmacher an einem Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Café und sind ganz auf die Unterhaltung mit Ihrer besten Freundin konzentriert. Irgendwo hinter Ihnen steht der Kellner und füllt ein Glas mit Wasser. Das Geräusch, das dabei entsteht, erreicht zwar Ihr Ohr, wird aber nicht aktiv verarbeitet: Ins Gespräch vertieft haben Sie nicht auf das Füllen des Glases geachtet (unattended), das Geräusch war für Ihre Zwecke nicht von Bedeutung (irrelevant) und Sie haben das Geräusch beiläufig wahrgenommen (incidentally encoded). Angenommen, am nächsten Tag stünden Forscher der Universität Regensburg vor Ihrer Tür und spielten Ihnen zwei Audiodateien vor: Sie hören zweimal, wie jemand Wasser in ein Glas füllt. Die beiden Geräusche hören sich unterschiedlich an, allerdings nur in Nuancen. Glauben Sie, trotz der genannten Ablenkungen könnten Sie erkennen, welches Geräusch Sie am Vortag wahrgenommen haben? Studiert man die bisherige psychologische Forschungsliteratur, wäre die Antwort wohl: Nein, daran würde man sich nicht erinnern.
*Nullleistung bei Ablenkung*
Bisher wurde in Studien, die sich mit ähnlichen, nebensächlichen Wahrnehmungen beschäftigen, fast immer eine sogenannte Nullleistung gefunden, das heißt die Versuchspersonen konnten sich nicht an Hintergrundeindrücke erinnern, wenn sie während der Wahrnehmung der Geräusche vollständig abgelenkt wurden. Hutmacher und Kuhbandner stellten sich dann die Frage, wie sie an Erinnerungen herankommen können, die in den bisherigen Studien nicht nachweisbar waren. Im Vergleich zu früheren Studien setzten sie einen sensitiveren Erkennungstest (2AFC-Test) ein und siehe da: die Versuchspersonen konnten das richtige Geräusch überzufällig häufig korrekt identifizieren – obwohl für die richtige Antwort einiges an Detailwissen vonnöten war und obwohl die Wahrnehmungen nur eingeschränkt verarbeitet wurden.
*Alltagsgeräusche versus Wortmerkspiel*
In ihrem Experiment baten die Forscher 51 Teilnehmer_innen, an einem Versuch teilzunehmen, bei dem man vorgeblich herausfinden wollte, wie gut Menschen sich trotz Ablenkungen auf eine Aufgabe konzentrieren können. Die Proband_innen saßen dazu vor einem Bildschirm, auf dem ihnen 660 kurze deutsche Wörter (Blume, Hase, Stein etc.) für jeweils 250 Millisekunden präsentiert wurden. Kam ein Wort zweimal hintereinander vor, sollten sie eine Taste drücken. Währenddessen trugen sie Kopfhörer, über die Alltagsgeräusche abgespielt wurden (ein Glas wird mit Wasser gefüllt, ein Kühlschrank brummt, die Waschmaschine läuft). Die Teilnehmer sollten sich voll und ganz auf die Wörter konzentrieren und die Geräusche so gut es geht ausblenden. Dass es in irgendeiner Form um einen Gedächtnistest gehen könnte, wurde ihnen verschwiegen. Direkt im Anschluss an diesen vorgeschobenen Konzentrationstest rückte das eigentliche Ziel des Experiments in den Fokus: Die Versuchsleiter spielten zwei Geräusche aus derselben Kategorie vor, beispielsweise das Brummen zweier Kühlschränke. Die jeweilige Versuchsperson sollte dann entscheiden, welche der beiden Audiodateien sie gerade schon einmal gehört hatte. Für die Hälfte der Geräusche wurde dieser Test erst 24 Stunden später durchgeführt. Die Trefferquote lag bei 56,86 % beim sofort durchgeführten Test, einen Tag später lag die Quote bei 55,83 %. Die Studienteilnehmer_innen hatten also das bereits zuvor gehörte Geräusch überzufällig häufig korrekt identifizieren können. Selbst wenn das Ergebnis auf den ersten Blick eher gering erscheint, sei es aber doch erstaunlich, wenn man bedenke, dass alles unternommen worden sei, um das Erinnern zu erschweren und dass man in vorangegangenen Studien unter diesen Bedingungen eine Nullleistung beobachtet hatte, so die Forscher.
*Detailreiche Erinnerung*
Die Studie zeigt, dass wir nicht nur Sinneseindrücke speichern, die unsere Aufmerksamkeit aktiv auswählt, sondern dass mehr im Gedächtnis hängen bleibt, als wir glauben. Zudem sind die Erinnerungen auch noch sehr detailliert – die für das Experiment verwendeten Geräusche unterscheiden sich eben nur in Details. „Doch offensichtlich werden nicht alle Eindrücke im Langzeitgedächtnis gespeichert“, so Fabian Hutmacher. „In weiteren Forschungsprojekten möchten wir gerne hinter die Mechanismen kommen, die darüber entscheiden, welche Wahrnehmungen gespeichert werden und welche nicht.“