Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Luna Boldaz, 16 Jahre
„Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Afro-Deutscher seine Sprache spricht und nicht so blass ist im Gesicht? Das Problem sind die Ideen im System: ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen, blaue Augen, blondes Haar, keine Gefahr.“ Das ist eine Textstelle aus dem Lied „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry aus dem Jahr 1992. Dieses Lied beschäftigt sich mit der Frage, wer Deutscher ist und wer als solcher akzeptiert wird.
Nachdem ich von meiner Lehrerin gefragt wurde, wie es für mich sei, in mein Heimatland zurückzukehren und damit Deutschland gemeint war, habe ich mich gefragt, woran deutsch sein definiert wird. An der Hautfarbe? An der Haarstruktur? Oder am Pass?
Wer ist Deutscher?
In Deutschland gilt das Abstammungsgesetz. Wenn mindestens ein Elternteil deutscher Staatsbürger ist, bekommt das Kind automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Wenn nur der Vater die deutsche Staatsangehörigkeit hat und nicht mit der Mutter verheiratet ist, muss die Vaterschaft nach deutschen Gesetzten bewiesen sein. Dieses Gesetz gilt auch bei Adoption.
Nach dem Geburtsprinzip bekommen auch Kinder von zwei ausländischen Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn sie in Deutschland geboren sind. Die Voraussetzung ist aber, dass mindestens ein Elternteil seit acht oder mehr Jahren in Deutschland lebt und ein unbeschränktes Bleiberecht hat.
Aber auch wer nicht in Deutschland geboren wurde, kann durch Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Diese Personen werden anhand bestimmter Voraussetzungen geprüft. Außerdem gilt die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland als vollwertig.
Aber reicht das, um als Deutscher anerkannt zu werden?
Vor einem Jahr im Skiurlaub saß ich mit meiner Familie in einem Restaurant. Mit uns am Tisch saß eine weitere Familie.
„Hallo.“ „Hallo.“ Stille. Plötzlich werden wir vom Mann gegenüber gefragt: „Wo genau kommt ihr her?“ Meine Mutter antwortet: „Wir kommen aus Berlin.“ „Ja, aber wo kommt ihr ursprünglich, also wirklich her?“, ist die Antwort des Mannes.
Eine wild fremde Person fragt uns, wo wir herkommen und akzeptiert dann nicht, dass wir Deutsche sind. Auch wenn rechtlich gesehen eindeutig ist, wer Deutscher ist und wer nicht, scheint es auf gesellschaftlicher Ebene eine Frage des Aussehens zu sein.
Menschen, die wir nicht kennen, beurteilen wir oft in verschiedenen Kategorien. Wir vermuten Dinge nur anhand des Phänotyps, also dem Aussehen. Zum Beispiel das Geschlecht, das Alter und eben die Nationalität, wobei manches leichter zu erkennen ist als anderes.
Problematisch wird es dann, wenn andere über deine Identität entscheiden, darauf beharren und keine Rücksicht darauf nehmen, ob es richtig ist oder nicht. Dabei ist es egal, um welches Merkmal der Identität es sich handelt. Besonders häufig passiert dies aber bei der Frage nach der Nationalität, wie das Beispiel aus dem Skiurlaub zeigt. Der Mann aus dem Restaurant hat die Antwort meiner Mutter, dass wir Deutsche sind, nicht akzeptiert. Dabei haben wir alle einen deutschen Pass.
Aber ist man dann nur Deutsch mit heller Haut, blonden Haaren und blauen Augen?
Viele sind der Meinung, dass dieses Denken mit der Zeit des Nationalsozialismus beendet wurde. Aber nein, es ist immer noch so. Viele Menschen denken nämlich immer noch in den Schubladen „arisch“ und „nicht arisch“. Ihnen ist es egal, ob man in Deutschland geboren wurde, hier in die Schule geht oder gegangen ist, Deutsch die Muttersprache ist und vor allem hier lebt und aufgewachsen ist. Deswegen werden viele Menschen immer noch aufgrund ihres Phänotyps diskriminiert und respektlos behandelt.
Wann wird der letzte Mensch in diesem Land verstehen, dass es mehr als eine Definition von deutsch sein gibt, und dass dies nichts mit der Hautfarbe zu tun hat?
So wie Horst Wegener in seinem Lied „Deutschen Land“, welches 2017 veröffentlicht wurde, singt: „Scheiß doch mal auf jegliche Herkunft oder Hautfarben, Deutschland nehmt euren Kopf ganz hoch. Dieses Land ist nicht farbenlos“.
Neben Advanced Chemistry, Horst Wegener und vielen mehr, hat sich auch die Dichterin May Ayim mit diesem Thema beschäftigt. Sie hat sich mit ihren Werken für mehr Akzeptanz in unserer Gesellschaft eingesetzt. So schreibt sie in ihrem Gedicht „grenzenlos und unverschämt – ein Gedicht gegen die deutsche sch-einheit“ aus dem Jahr 1990: „und werde trotzdem deutsch sein auch wenn euch meine schwärze nicht passt“.
Deutsch sein muss unabhängig vom Aussehen betrachtet werden. Diese Selbstverständlichkeit ist auch im Jahr 2020 leider noch nicht in allen Köpfen verankert.
Das muss sich ändern!