Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Lena T., 20 Jahre
Im Französischunterricht der sechsten oder siebten Klasse hatte ich meinen ersten feministischen Gedanken. Damals fand ich es geradezu unverschämt, dass ein einziger Mann in einer Gruppe von Frauen ausreichte, um die sprachliche Identität der ganzen Gruppe zu bestimmen. Ich fragte mich, warum. Warum wog die Anwesenheit eines Mannes die unzähliger Frauen auf? Weil Männer mehr wert waren? Ich weiß, diese Fragen klingen naiv, und ich muss zugeben, dass ich zu dem Zeitpunkt keine Ahnung hatte, was das Wort „Feminismus“ bedeutet. Doch sieben Jahre später begegnen mir diese Fragen noch immer, wenn auch in abgewandelter Form. Und obwohl ich selbst nie wirklich das Gefühl hatte, aufgrund meines Geschlechts ungerecht behandelt zu werden, weiß ich mittlerweile, dass Millionen von Frauen tagtäglich mit Diskriminierung, Benachteiligung und sexueller Belästigung konfrontiert werden. Eine Tatsache, die mich unfassbar wütend macht.
Es fängt schon damit an, dass Frauen oft nur „mitgemeint“ werden – ein Streitpunkt, den viele am liebsten von der Tagesordnung streichen würden, weil er ihnen nicht dringlich genug erscheint. Dabei ist die Lösung denkbar einfach: Ist ein kleines „-in“ wirklich zu viel verlangt, ein „Studierende“ statt „Studenten“? Vielleicht lege ich jedes Wort auf die Goldwaage, aber stellen wir uns nur einmal vor, es wäre andersherum. Stellen wir uns vor, alle Menschen, egal ob männlich, weiblich oder divers, würden als Politikerinnen, Ärztinnen, Künstlerinnen bezeichnet werden. Wäre das etwa nicht diskriminierend? Wenn es um uns nahestehende Personen oder generell Personen aus unserem täglichen Umfeld geht, funktioniert die Sache mit der sprachlichen Korrektheit zwar schon ganz gut. Man würde seine Freundin schließlich nie mit den Worten vorstellen: „Mama, Papa – das ist mein Freund!“
Gesamtgesellschaftlich gibt es allerdings noch eine Menge zu tun, denn es ist längst noch nicht alles getan, was getan werden müsste, damit Männer und Frauen endlich gleichberechtigt sind. Und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern faktisch.
Ja, ich bin Feministin – und nein, ich bin keine Feminazi, auch wenn uns FeministInnen das oft vorgeworfen wird. Genauso wie uns vorgeworfen wird, wir wollten die Weltherrschaft an uns reißen, nur weil wir ein paar Thomasse aus den oberen Chefetagen ablösen, weil wir ernstgenommen und respektiert anstatt vergewaltigt werden wollen. Noch so ein Absurdum, denn stellen wir uns nur einmal vor, es wäre andersherum. Stellen wir uns vor, eine Horde Frauen würde sich nachts über einen hilflosen Mann hermachen, der einfach nur nach Hause will. Und ja, vielleicht trüge er Shorts und ein Shirt, durch das man Teile seines Oberkörpers sieht, aber warum zur Hölle sollte das eine Legitimation dafür sein, ihn sexuell zu belästigen? Das gleiche gilt für Frauen, und trotzdem ist Gewalt an Frauen im Gegensatz zu Gewalt an Männern irgendwie verstehbar. Sogar so gut, dass jungen Frauen eingebläut wird, nachts nicht alleine herumzulaufen und sich nicht allzu freizügig zu kleiden – und das in einem der sichersten Länder auf der ganzen Welt. Aber so ist das eben.
Ich bin bei weitem nicht die Einzige, die wütend ist – und trotzdem ist der Weckruf des Feminismus in Teilen unserer Gesellschaft noch immer nicht angekommen. Ich glaube zu wissen, woran das liegt: Es liegt daran, dass die unterbewusste Annahme, Frauen und Männer sprächen (metaphorisch gesehen) verschiedene Sprachen, noch immer vorherrscht. Männer, so denken viele, sprächen die Sprache der Macht. Frauen, die ihre Interessen und Bedürfnisse kommunizieren und dabei einen klaren Standpunkt vertreten, notfalls auch laut, werden hingegen schnell als hysterisch bezeichnet. Oder schlicht und ergreifend als Schlampe beschimpft.
Doch wer legt eigentlich fest, was genau Macht bedeutet? Und wenn Macht – zumindest in Teilen – bedeutet, seine Anliegen zur Sprache zu bringen, wozu sowohl Männer als auch Frauen in der Lage sind, warum ist sie in vielerlei Hinsicht dann immer noch den Männern vorbehalten? Warum werden auf Frauen nicht die gleichen Kriterien, die gleichen Maßstäbe angewandt wie auf Männer, egal, ob es ums Äußere oder um Autorität geht?
Sprache ist mächtig, aber mächtig ist nicht gleich männlich, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass nur Männer Macht besitzen können – zumal Finnland gerade das Gegenteil beweist. Wir müssen uns von der Vorstellung des typisch „Männlichen“ und typisch „Weiblichen“ lösen und endlich einsehen, dass Zweigeschlechtlichkeit genau wie Heteronormativität ein veraltetes Konzept ist. Dass männliche Dominanz kein naturgegebener Zustand, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Unterdrückung ist. Und dass es genauso wenig reicht, Stellen für „m/w/d“ auszuschreiben, wie es reicht, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Grundgesetz zu deklarieren. Denn es reicht nicht, ständig wortreich auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, sie aber nicht aktiv zu bekämpfen, durch unsere Werte und Überzeugungen. Gleichberechtigung, Menschenwürde, Selbstbestimmung – das und vieles mehr steckt in diesem einen Wort: Feminismus. Ein Wort, dessen Tragweite ich in der sechsten Klasse nicht einmal ansatzweise begriffen habe. Und dessen Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.