Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Sakina Amira Al-Mozany, 16 Jahre
Zu meiner Geburt habe ich zwei Teddybären geschenkt bekommen. Einen bunten Teddy, der zu meinem treuen Begleiter wurde und einen dieser sündhaft teuren Steiff-Bären, die quietschen, wenn man ihnen auf den Bauch drückt und die ihrem Namen alle Ehre machen.
Blau war die dominierende Farbe meiner Kindheit - blaues Fahrrad, blaues Lieblings-Shirt, blaue Zahnspange. Das gemeinsame Zimmer mit meinem Bruder war gelb, unsere Lieblingsfilme “alles, was mit Hunden zu tun hat” und nachmittags habe ich mir mit meinen Freundinnen und Freunden auf dem Spielplatz die Knie aufgeschlagen. An meinem ersten Schultag hielt ich eine grüne Schultüte mit Känguru-Motiv in der Hand, Puppen waren sowieso doof, und die Farbe Rosa eine Scheußlichkeit, in die mich keiner stecken durfte.
Als ich in etwa dreizehn Jahre alt war, haben mir meine Eltern gesagt, ich könne werden, was ich wolle. Sein, wer ich wolle. Wenn ich Mädchen lieben würde, dann wäre das in Ordnung. Oder Jungs. Oder beides. Die Hauptsache sei, dass ich glücklich bin.
Manchmal frage ich mich, wann es passiert ist. Wann ich diese unsichtbare Grenze überschritten habe, hinter der man das Ortsschild “Land der unbegrenzten Möglichkeiten” hinter sich lässt und es “Willkommen in der Realität” heißt. Wie lange ist es okay, frei und wild zu sein, und wann wird von dir verlangt, ein bestimmtes Schema zu befolgen, das nächste glückliche Familienfoto in den Rahmen des Lebens zu stecken?
Während meines Studiums habe ich verwunderte, amüsierte, manchmal auch genervte oder verständnislose Blicke geerntet, wenn ich erzählt habe, wie sehr ich kochen hasse und dass ich auch nicht vorhabe, diesen Umstand zu ändern. Bis sich die kopfschüttelnde Belustigung mit jedem Lebensjahr mehr in vorwurfsvolle Bestürzung wandelte: “Du willst nie kochen lernen? Aber wovon soll denn dein Kind leben?” Dabei habe ich nicht einmal ein Kind.
Nein, es wird einfach davon ausgegangen, dass ich - wenn der Zeitpunkt gekommen ist - schon zur Besinnung kommen werde, einen Haufen Kinder bekomme und mich in eine kochende Supermama verwandele.
Ich weiß nicht, wie der Stand der Biologie gerade ist, aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, waren zwei Menschen notwendig, um ein Kind zu zeugen. Was mich zu der Frage führt, wann mein Partner wohl das letzte Mal dafür schief angeguckt wurde, dass “Süßkartoffelpommes vom Pizzadienst nebenan” zu seinen Hauptnahrungsmitteln gehören.
Ich sitze im goldenen Käfig. Man erzählt mir überall, dass ich alles werden kann, wenn ich nur fest genug daran glaube oder hart genug dafür arbeite. Es schreit herab von den Werbeplakaten, von allen strahlenden Gesichtern in den Medien um mich herum, lacht mich an aus den motivierenden Vorträgen meiner Dozenten: “Du bist frei, mach was du willst.”
Bis, ja… bis du all diese wundervollen, angepriesenen Freiheiten dann auch nutzen möchtest. Denn wo kämen wir denn da hin, wenn Männer sich um Kinder kümmern? Das ist doch unmännlich, man will ja schließlich einen erfolgreichen Macher. Und was sollte aus der Wirtschaft werden und aus der Politik, wenn auf einmal nur noch Frauen in den Führungspositionen dieses Landes säßen. Irgendwann ist doch auch mal gut, oder? Ja, wo würde das denn enden, wenn jetzt jede junge Mutter ganz á la Bonnie Strange nackt mit einer Windel auf dem Arm strahlend für die Kamera posiert? Denn schließlich soll man ja ein Vorbild für seiner Kinder sein.
Aber ein Vorbild wofür?
Wofür ich kämpfe?
Ich kämpfe dafür, dass mich niemand mehr fragt, wann es “endlich so weit” ist.
Dafür, dass ich nicht mehr zu hören bekomme, dass ich aber “kochen lernen muss”, wenn ich erstmal Kinder habe.
Dass ich auch mit über 25 Single sein darf, ohne angesehen zu werden wie das arme übrig gebliebene Kind, das zuletzt in die Völkerball-Mannschaft gewählt wird.
Ich kämpfe dafür, dass Frauen aufhören, sich gegenseitig zu verurteilen und dafür, dass Männer eine gleichwertige Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung als Selbstverständlichkeit ansehen.
Ich kämpfe dafür, im Beruf nicht benachteiligt zu werden, weil ich vielleicht schwanger werden könnte und dafür, dass mein Gehalt sich nicht nach meinem Geschlecht richtet.
Ich kämpfe dafür, dass ich mich so aufreizend anziehen darf, wie es mir selbst beliebt, ohne dass jemand den Wunsch nach Sex hineininterpretiert.
Ich kämpfe dafür, später einmal ein Kind zu erziehen, dass sich selbst gehört.
Ich kämpfe dafür, dass Eltern sich trauen, nicht nur ihre Mädchen zu taffen, starken Menschen zu erziehen, sondern auch ihre Söhne für Gefühle zu sensibilisieren und ihnen den Wert offener Gespräche und emotionaler Zugänglichkeit zu vermitteln.
Ich will in einer Welt leben, in der niemand für mich entscheidet, welcher Lebensweg der richtige ist. Frei von Unterstellungen, Verurteilung und Bevormundung.
Ich träume von einer Welt mit weniger Symbolik und mehr handfesten Taten.
Wir brauchen nicht bloß einen Frauentag oder Quoten, um uns ruhig zu stellen.
Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft, eine neue Generation junger Eltern, die mutig genug ist, ihre Kinder entgegen aller veralteten Denkmuster zu erziehen.
Wir sitzen im goldenen Käfig, die Freiheit in Sicht, aber der Schlüssel für die Tür, der liegt in unser aller Hand.