Der Wind spielt mit meinem Haar, wirbelt es hin und her, während ich ihn hochhalte. Den Brief. Um es verständlich zu machen; ich weiß nicht wo er herkommt, noch von wem er ist. Eigentlich weiß ich nur, dass er auf einmal da war. Ich saß auf diesem Baumstumpf, betrachtete das Sonnenlicht, das hier und da durch das dichte Laubdach drang und die Welt in ein goldenes Licht tauchte. Golden, wie auch die Blätter, die wie ein dichter Teppich auf dem weichen Waldboden liegen. Geht man über sie, erfüllt ein leises Knistern die warme Luft. Meine Oma meinte immer, so hört sich der Herbst an. Wenn man mit nackten Füßen über die knisternden Blätter geht. Aber das hat nichts mit dem Umschlag zu tun. Er lag ganz verlassen da, ohne… irgendjemanden. Briefe gehören in den Briefkasten oder in die Hand eines Menschen. Dieser lag alleine da. Eine Zeit lang versuchte ich ihn zu ignorieren. Beobachtete einen Igel, der an einem Pilz herumwuselte. Roch den herben Geruch der Freiheit, der von den Bäumen ausging. Nun, es nützte nichts, mein Blick wanderte immer wieder zu dem cremefarbenen Umschlag. Schließlich nahm ich ihn in die Hand, was uns an die Ausgangsituation der Geschichte bringt. Hier sitze ich nun und verfluche mein schlechtes Gewissen. Weißt du was? Ich öffne ihn einfach. Ja, es mag unpassend, fast schon unhöflich sein. Aber ich bin ein Mensch und meinen Zweig der Neugier lässt sich nun mal nicht von heute nach morgen abschneiden. Zitternd hole ich den dicken Bogen aus dem Umschlag und fange an zu lesen.
Lieber Lesender,
ich hoffe der Brief hat es irgendwann in die Vergangenheit geschafft. Wenn nicht, ist diese doch so vielversprechende Erfindung kaputt und ich habe wertvolle Tinte verschwendet. Ist er angekommen, so hoffe- nein, bete ich- dass du dir Zeit für ihn nimmst. Dieser Brief ist eine Warnung für dich- und die Menschheit.
Ich weiß nicht welches Jahr du schreibst, hier ist es 2093. Vor 11 Jahren, am 2.11. 2082, brach ein Virus aus, der fast die komplette Weltbevölkerung auslöschte. Es ist unsere eigene Dummheit gewesen, nun müssen wir teuer für sie bezahlen.
Da ich in Unkenntnis bin, wie viel du weißt, fange ich einfach mal von vorne an.
Dank der weltweitem Proteste ab dem Jahre 2017 wurde eine globale Umweltpartei gegründet- die NEC (National Environment Company). Sie erfreute sich schon von Beginn an großer Beliebtheit auf dem ganzen Globus. In den ersten Jahren ( bis circa 2045) taten sie ihr Werk bewundernswert; setzten sich für die Umwelt ein und überzeugten mit wichtigen Zielen. Doch ab dem Jahre 2047 begann der Abgeordnete, ein gewisser Mr Finnigan, immer mehr für sein eigenes Wohl zu sorgen. Keiner wusste genau, wie er es anstellte, aber von einem Jahr aufs andere rutschte die Partei tiefer in das Skandalloch. Geldfälschung. Spenden verschwunden. Flächen des Regenwaldes, eigentlich zum Erhalten seltener Tierarten, abgerodet und zum Industrieland für Instagram und TikTok verarbeitet. Meiner Meinung nach wurde die Organisation zu populär. Sie hatte zu viel Macht. Zu viel Einfluss. Einfluss auf Millionen treue Herzen. Und so steuerte sie die Politik geschickt nach ihren Wünschen.
Zudem kamen eh schon bestehende Probleme - Plastik in den Meeren wie Sand am Strand, in den letzten Jahren 78 Tierarten ausgestorben. Darunter der Panda und der weiße Hai. Fabriken mit unterbezahlten Arbeitern.
Das Fass lief über, als Prof. Do. Rautenburgh am 3.Juli 2051 einen Artikel über die schmutzigen Geheimnisse der Regierung veröffentlichte. Er wurde in über 800 Sprachen übersetzt und weltweit über 6 Milliarden Mal gedruckt, bevor er verboten wurde. Was dann geschah, lässt sich schwer in Worte fassen. Es brach eine Art 3. Weltkrieg aus- zwischen den Machthabern und uns. Aber er war geheim, gerade so zu erhaschen. Und doch spürte jeder, dass er da war. Jobs wurden gekündigt. Fabriken gestürmt. Banken überfallen. Aber es kam auch zu Reaktionen- massenhaft wurden Menschen abgeführt und in örtliche Gefängnisse gefangen gehalten. Ganz im "Sinne des Gesetzes". Die Miete wurde so hoch, dass ganze Stadtviertel leer standen. Und doch war es Finnigan nicht genug. Er wollte einen ultimativen, letzten Beweis, dass er der Herrscher ist, der Führer des Menschengeschlechtes.
Und da kamen wir an den Wendepunkt der Geschichte. Er ließ von seinen Forschern ein Virus erfinden. Eine Killermaschine. Setzte sie in die überfüllten Obdachlosenhaufen in den Großstädten New York, Berlin und Tokio- und wartete. Keiner wusste was in seinem benebelten Geiste vorging. Sicher wollte er uns nur etwas Angst einjagen, zeigen wie mächtig er ist. Aber er hatte das ganze unterschätzt. Mein Schreibbogen geht mir aus, drum fasse ich mich kurz. Er selbst wurde Opfer seines Virus uns starb am 23.7. 2084. Mit ihm die Hälfte der Menschheit, ein Viertel folgte dank mangelndem Essen. Dies alles geschah circa 2082- 2090. Die Folgen sind verheerend: Einbruch der Wirtschaft im Jahre 2085. Ende des Netzes 2089. Verfall der menschlichen Gebäude. Die Natur ist dabei, sich alles zurückzuholen. Können wir sie dafür beschuldigen? Immerhin waren wir es, die sie belästigt haben. Was mit uns ist, fragst du nun? Wir hausen wie Wilde auf den Straßen der einstigen Metropolen. Jeder für sich, denn der Virus ist noch da und jagt uns wie ein Fuchs seine Hasen. Mitleid bedeutet hier Tod.
Ich bitte dich im Namen aller, die Tag für Tag im Schmutz liegen und zitternd vor Hunger in einer Gasse liegen; hilf uns. Hilf uns indem du das alles nicht zulässt. Achtet auf die Natur. Gebt auf sie acht wie eine Mutter auf ihre Kinder. Dann wird auch sie acht auf euch geben. Und lasst euch nicht von Reichtum und Macht blenden!
Bitte, denkt einmal nicht nur an euch selber und merkt, dass es viel mehr Leben auf diesem Planeten gibt.
Dein Freund,
Phillius Arkrus White.
Ich nehme den Brief herunter. Dann hebe ich den Blick, langsam-fast schon vorsichtig- und sehe in die bauschigen Wolken. Sie sehen mich so unschuldig an.