Mein Opa, der Garten und ich- Chronik eines Umdenkens
Einsendung von Annika Hoffsommer, 23 Jahre
*Gartenjahr 1- 2018*
Auf Pinterest sehe ich wie jemand aus einer stinknormalen Paprika die Samen sammelt. Er sät sie und neue Paprikapflanzen wuchsen. Und am Ende gab es Paprika. Das weckte mein Interesse. Ich hatte keine Ahnung was ich genau tue, aber beginne Paprikasamen zu sammeln. So schwierig kann es ja nicht sein. Ich kaufe Erde und beginne zu säen. Es funktioniert. Fast alle gehen sie auf. Jetzt kommt der nächste Schritt: Umtopfen. Ich bringe es nicht übers Herz auch nur eine wegzuwerfen. Am Ende habe ich sicher an die 30 Pflanzen und der gesamte Balkon steht voller Paprikas. Und zum ersten Mal merke ich, wie lange es dauert bis eine Paprika gewachsen ist und wie viel Bemühungen sie braucht, damit sie wachsen kann. Der Ertrag fällt auf Grund des guten Wetters sehr großzügig aus. Während ich im Urlaub bin erhalte ich Nachrichten, wie die ganzen Früchte verarbeitet werden sollen. Ich bin begeistert, wie simpel es war eigenes Gemüse zu ziehen. Ich beschließe nächstes Jahr weiter zu machen, aber meine Familie weigert sich. Nur noch ein paar Kübel dürfen auf dem Balkon, aber man solle noch sitzen können. Eine neue Lösung muss her. Meine Großeltern haben eine Art Schrebergarten. Ich frage meinen Opa, ob ich eventuell ein kleines Stück bewirtschaften könnte. Er stimmt zu mit einer Bedingung: „Kein Kürbis!“.
*Gartenjahr 2- 2019*
Ein neues Gartenjahr beginnt. Wieder beginne ich verschiedenste Pflanzen vorzuziehen. Dieses Mal sind es viel zu viele Tomaten. Der Großteil kommt in das Gartenstück, dass mein Opa mir zugeteilt hatte. Mein Opa hatte schon alles gut vorbereitet und extra Gründüngung ausgebracht. Ich pflanze dort was ich alles vorgezogen hatte: Tomaten, Paprika, Chilli, Erbsen, Zucchini und Kartoffeln. Die Pflanzen werden immer größer und bald musste ich täglich in den Garten fahren, um zu gießen, Unkraut zu jäten und vieles mehr. Im Juli essen wir fast jeden Tag Zucchinis in allen erdenklichen Formen und Zubereitungsweisen. Die Paprikas, die ich gepflanzt habe, entpuppen sich als Chillis. Am Ende des Sommers kann ich eine positive Bilanz ziehen: fast nur frisches Gemüse aus dem Garten gegessen, 12 Liter Tomatensoße, vorgekochte Essen aus überschüssiger Ernte, viele neue Erfahrungen- und 32 Chillischoten. Manchmal läuft es eben anders als geplant. Auch das ist Natur.
Häufig sind mein Opa und ich zufällig zur selben Zeit im Garten. Mein Opa ist mittlerweile fast 80 Jahre. Sein Leben lang hat er mit Landwirtschaft zu tun, schlug aber einen anderen Berufsweg ein. Um das kleine Gärtchen kümmerte sich jahrelang meine Oma, aber als mein Opa in Rente ging fing er auch mit dem Gärtnern an. Mittlerweile kümmert sich hauptsächlich mein Opa um den Garten. Die einzelnen Beete sind größtenteils frei von Unkraut. Alle von Hand aus dem Boden gezogen. Aber am Zaun wächst das Gras hoch. Höher als auf dem ganzen Stück Rasen drum herum. Ich frage meinen Opa, ob ich nicht mit einer Schere es abschneiden soll. Für mich ist das lediglich Unkraut mir mehr Aufwand beschert. „Für meinen Opa ist das sicher zu anstrengend und deswegen hat er es nicht geschnitten“, denke ich. Aber falsch gedacht. „Das lass ich mit Absicht stehen sagt er. Weißt du warum?“ entgegnet er mir. Warum? Keine Ahnung. „Hier“, er zeigt auf die angrenzenden Felder, die unseren Garten umgeben. „Da spritzen die überall mit Glysophat. Weißt du, das will ich nicht auf meinem Gemüse haben. Wenn ich das hier stehen lasse, dann weht es das Spritzmittel auf das Gras und nicht auf unseren Garten.“. Ähnlich eines komponierten Musikstückes hat hier alles seine Aufgabe. Früher sah ich meinen Opa selten außerhalb der üblichen Feste wie Weihnachten oder Geburtstage. Seit wir gemeinsam gärtnern sehen wir uns viel öfters. Im Garten gibt es rund ums Jahr Dinge zu tun und deshalb auch immer etwas zu reden. Im dritten Gartenjahr erzählte mein Opa mir, dass er sich schon einmal überlegt, den Gemüseanbau sein zu lassen. Es werde doch anstrengender und die Lust am Gärtnern weniger. Doch dann kam ich mit meinem neuen Hobby. Das erste gemeinsame Jahr im Garten weckte in uns beiden die Faszination für den Garten.
*Gartenjahr 3- 2020*
Mittlerweile baue ich im dritten Jahr im Folge Gemüse an. Ich probiere verschiedenstes aus und freue mich, wenn ich neues Gemüse ernten kann. Immer wieder laufen Dinge anders als ich denke. Dieses Jahr gibt es keinen Kürbis. Die Mäuse haben die Blüten und wurzeln abgefressen. Dafür war die Zwiebel- und Lauchernte sehr gut. Zum ersten Mal habe ich dieses Jahr Wintergemüse gepflanzt und geerntet. Während ich in Wollmütze, Schal und Winterjacke Rosenkohl ernte, frage ich mich, wie viel Energie wohl benötigt wird, um die Tomaten aus meinem Mittagessen bei diesen Temperaturen im Gewächshaus in den Niederlanden reifen zu lassen. Das frische Erdbeeren im Februar ein Klimakiller sind, das war mir klar. Aber das noch viel mehr Gemüse und Obst dazu zählt, darüber hatte ich noch nie nachgedacht. In meinem Garten erlebe ich die Saisonalität am eigenen Leib und es wird mir klar: Im Februar gibt es einfach keine Tomaten ohne wesentlich höheren Energieeinsatz als im Sommer.
Das gemeinsame Gärtnern mit meinem Opa verbindet uns. Wir teilen Erfahrungen, Ideen und Pläne. Er bringt mir ausgeschnittene Zeitungsartikel über Kompost mit; ich zeige ihm eine Tomatensorte, die ich entdeckt habe. Von meinem Opa habe ich viel über Nachhaltigkeit, ökologisches Gärtnern und Achtsamkeit gelernt. Letztens waren mein Opa und ich wieder einmal zusammen im Garten. Als ich fertig war mein Gartenstück zu gießen und mich um die Pflanzen zu kümmern, kam er zu mir und wir redeten noch ein wenig. Am Ende sagte er: „Weißt du, es ist viel schöner zu zweit im Garten zu sein als immer allein.“
Autorin / Autor: Annika Hoffsommer, 23 Jahre