VIRIDIA – Vision einer Metropole der Zukunft

Einsendung von Jona Harnisch, 15 Jahre

Jaron setzt sich erschöpft in einen der Strandkörbe nahe der Uferpromenade und erinnert sich an seine Ankunft in Viridia vor zwei Monaten.

Als er gegen Ende der 16 Stunden langen Zugfahrt durch die karge, lebensfeindliche Wüste die ersten Wälder bemerkte, glaubte Jaron zu träumen. Eben noch fuhr der Hochgeschwindigkeitszug durch staubige Dünen. Ab und zu passierte er kleine Solarkraftwerke, die mit ihrer Energie den Zug speisten. Ansonsten gab es nichts als Sand und kahle Felsen. Doch plötzlich schien die Natur zum Leben zu erwachen: Auf dem Sand wuchsen Gräser und Büsche, Jaron erblickte prächtig gedeihende Palmenhaine, Eukalyptuspflanzungen, Obstbaumoasen, Kiefern- und Akazienwälder und allerlei andere Baumsorten. Bewässerungskanäle und Teichanlagen schmiegten sich harmonisch in die Landschaft ein. In der Nähe eines Akazienhaines entdeckte Jaron mehrere Antilopen, auf einer weiten Wiese dahinter graste eine Gnuherde, unzählige weiße Vögel flogen über den Baumkronen der Skyline von Viridia entgegen. 
Als Jaron schließlich aus dem Zug ausstieg, staunte er über das Bahnhofsgebäude, das wie ein botanischer Garten gestaltet war: wilde Ranken wuchsen an den Wänden und blühende Sträucher säumten die Bahnsteige. Als Jaron an einem vertikal hängendem Blumenfeld vorbeiging, entdeckte er blaue Schmetterlinge und unter einem großen Busch summten ein Duzend Bienenstöcke. Er freute sich, schon am nächsten Tag die Stadt zu erkunden – vor allem aber musste er sich einen Job suchen. Das war der Grund, warum er hergekommen war.

Seitdem ist viel geschehen; Jaron hat einen Job in einer Urban Farm; das sind Betriebe, die unter kontrollierten Bedingungen Obst und Gemüse in Gebäuden anbauen. Die Pflanzen werden vertikal übereinander angebaut, was sehr platzsparend und effizient ist. Gleichzeitig geht kaum Wasser verloren, alles befindet sich in einem geschlossenen Kreislauf.
Der Verkauf erfolgt vor Ort - hier hatte Jaron auch Herrn Mouamba kennengelernt, der ihm den Job besorgt hatte. Während dem Ernten von Salatköpfen erzählte ihm Herr Mouamba die Geschichte von Viridia:
„Gegründet von der NASA in der namibischen Wüste unter dem Namen JunoX war es zunächst eine futuristische Siedlung, in der das Leben auf dem Mars für zukünftige Missionen simuliert wurde. Lokale Wissenschaftler fanden heraus, dass die Artenvielfalt in der Gegend aufgrund des Klimawandels und steigender Temperaturen um fast 90 Prozent zurückgegangen ist. Als Reaktion beschloss die namibische Regierung mit der NASA, eine zukunftsgewandte, umweltschonende Großstadt zu planen, in der die modernsten und ökologischsten Technologien und Konzepte getestet und verwirklicht wurden. Die mit den neuangelegten Nationalparks harmonieren und gleichzeitig Wohlstand im südöstlichen Afrika garantieren. Es entstand eine grüne Welle der Begeisterung: Ideen und Spendengelder wurden von Organisationen gesammelt, um die erste klimafreundliche Großstadt der Welt zu erschaffen. Aus einer der trockensten Wüsten wurde mit der Zeit eine Oase voller Leben. Über die Jahre entstand eine pulsierende, klimaneutrale Millionenstadt mit einer starken Wirtschaft und vielen Arbeitsplätzen. Viridia ist eines der größten Wunder dieses Jahrzehnts.“

„Ja, das stimmt. Viridia ist ein Wunder“, denkt Jaron, als er seinen Blick über die bepflanzten Hochhäuser und die eleganten Magnetschwebebahnen gleiten lässt, die anstelle von Autos durch die Stadt fahren. Statt Straßen wurden große Parks gestaltet. Jaron liebt es, dort die bunten Vögel zu beobachten.
Die Warenlieferung erfolgt mit Drohnen, im Falle eines Notfalls sind Erste-Hilfe-Drohnen direkt vor Ort. Viridia gewinnt den größten Anteil der Energie durch Photovoltaik, indem auf allen Gebäudedächern und Wegen Solaranlagen montiert sind. Weitere Energiequellen sind Windkraftanlagen und kleinere Wellenkraftwerke.
Der anfallende Müll wird in Biogas umgewandelt, womit die Stadt beheizt wird. Die Abwärme dieser Gebäude wiederum wird mithilfe von Wärmespeichermaterial an anderen Orten zum Heizen wiederverwendet.
Das, was Viridia zum Leben gebracht hat, ist Wasser. Ohne Wasser wäre alles eine Wüste, es gäbe kein Leben. Ein großer Anteil des Trinkwassers kommt aus dem Meer: Moderne, von Wissenschaftlern weiterentwickelte Umkehr-Osmoseanlagen entsalzen das Meerwasser hocheffizient und stellen so die Trinkwasserversorgung sicher. Eine weitere Technologie ist das Gefrierverfahren: Meerwasser wird abgekühlt, sodass sich salzfreie Eiskristalle bilden. Früher in der Praxis nicht rentabel, heute anhand neuer Technologien nicht mehr wegzudenken. Für die Wälder um Viridia herum wird das Wasser mit zahlreichen Nebelfängern gewonnen. Die Namib-Wüste ist sehr nebelreich: Trifft der Nebel auf die Nebelfänger, bilden sich immer größere Wassertropfen, bis sie schließlich zu Boden fallen und dort aufgefangen werden. Auf diese Weise werden pro Tag und Netz etwa 500 Liter Wasser gewonnen. Es fließt durch ein einfaches Leitungssystem aus Bioplastik zu den Feldern und Wäldern, wo die Pflanzen mittels wassersparender, gezielter Tröpfchenbewässerung gegossen werden. Das Wasser, das ungenutzt in den trockenen Wüstenboden versickert, nimmt dort viele Salze auf und könnte so den Boden schädigen. Unterirdische Entwässerungsrohre verhindern dies und führen das Salzwasser ab. Es wird gesammelt und zu einer Algenfarm geleitet, wo in dem Salzwasser Algen gedeihen. Sie sind essbar und sehr gesund – können aber auch getrocknet und zu Brennstoff verarbeitet werden.
Alles Abwasser der Stadt wird sorgfältig gereinigt und als hochwertiges, nährstoffreiches Süßwasser in den neuen, riesigen Nationalpark geleitet. Hier entstehen auf natürliche Weise Bäche und Teiche, die für einen vielfältigen und gesunden Tier- und Pflanzenbestand sorgen.
Viridia ist die erste Großstadt, die statt der Zerstörung der Natur ein Ökosystem erschaffen hat. Sie lebt in Symbiose mit der Umwelt – und ist damit ein Vorbild für andere Städte.


Autorin / Autor: Jona Harnisch, 15 Jahre