Die Bucht am Rhein
Einsendung von Theresa, 15 Jahre
Genervt stand der Maurer an der Supermarktkasse / an Kasse 5 und wartete, bis er endlich an der Reihe war. Der Mann hatte nun wirklich besseres zu tun, als hier seine ganze Zeit zu verschwenden. Er musste dringend zurück zu seinem schlecht bezahlten Job. Das Leben war einfach ungerecht, dachte der Mann sich immer und immer wieder. Endlich war er an der Reihe und da nervte ihn die komische Verkäuferin auch noch mit ihrer übertriebenen Höflichkeit und ihrem langsamen Herumgetue am Fließband. Schnaubend schnappte der Maurer eine der Gratis-Plastiktüten und warf seine ohnehin schon eingepackte Semmel hinein. Aber geschenkt war nun mal geschenkt, also warum nicht nehmen, wenn es keinen Nachteil daran gab. Auf seinem Heimweg hatte der Mann so großen Hunger, dass er seine Semmel im Gehen herunterschlang. Die Plastiktüte warf der Maurer achtlos in den Rhein. Über so etwas wie Klimaschutz konnten sich nur die Reicheren Gedanken machen. Er hatte besseres zu tun, als einen Müllkübel zu suchen.
Frustriet saß der junge Autor am Rande des Rheins. In seinen Händen hielt er die neuste Express-Ausgabe und ärgerte sich, dass er es wieder nicht auf die Titelseite geschafft hatte. Der Mann gab sich selbst die Schuld daran. Wenn er sich doch noch mehr angestrengt hätte. Oder wenn seine Freunde ihn nicht dauernd vom Schreiben abgelenkt hätten. Aber all dies führte zu nichts. Der Autor war einfach nicht gut genug. Genervt seufzte der Mann und warf die Zeitung mit voller Wucht in den Fluss. Sollte sie doch nass und kaputt werden, der Autor musste sich auf seinen neuen besseren Artikel konzentrieren, damit er seinen Job nicht verlor. Während er zusah, wie die nasse Zeitung den Fluss entlang schwamm, verspürte der Mann die Genugtuung, sie endlich los zu sein.
Nervös stand sie mit den anderen am Fluss. Endlich hatte die Kleine es geschafft. Endlich würde sie auch dazugehören. Neben dem Mädchen lungerten die älteren cooleren Kinder und schlürften Cola aus Aludosen. Noch nie hatte die Kleine aus so einer Dose getrunken. Erstens würden ihre Eltern ihr solche Dosen verbieten und zweitens fand sie die Aludosen selbst etwas komisch. Allein der Alugeschmack, den man beim Trinken schmeckte, war nichts für sie. Doch das war jetzt Nebensache. Denn nun war das Mädchen cool und superselbstbewusst, denn die Großen hatten sie nach so langer Zeit endlich gefragt, ob sie mitkommen wolle. Als die älteren Mädchen ihre Dosen in den Rhein warfen, machte sie mit und kam sich dabei total erwachsen vor. Denn ab jetzt gehörte die Kleine auch dazu.
Ich spaziere den Weg am Rhein, den wir das letzte Mal vor 5 Jahren gegangen sind, entlang. Sofort entdecke ich diese kleine Bucht wieder. Die, die früher unser Geheimversteck war. Die, in der wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Sie war für mich der schönste Ort, den ich je gesehen hatte. Unsere Bucht ist dunkler geworden. Eine große neue Marketingfirma stellt sie nun in dauerhaften Schatten. Ich gehe weiter, weiter zum Wasser. Es ist schmutziger als damals, nicht mehr so glasklar, wie früher einmal. Überall liegt Müll. So viel Müll, dass man die schönen weißen Steine gar nicht mehr richtig bewundern kann. Schnell zücke ich mein Handy und schicke dir ein Bild von der Plastiktüte, der Zeitung, der Aludose und all den anderen Sachen, die der Rhein mit der Zeit angespült hat. Ich möchte dir zeigen, was aus unserer geheimen Bucht geworden ist. Langsam bücke ich mich, hebe einen Teil des Mülls auf und frage mich, wer so etwas in die Flüsse werfen kann. Ich frage mich, wer die Menschen sind, die uns den schönsten Ort der Welt kaputt machen wollen.