Heute war es so weit. Heute war der Tag, auf den die Nation sich seit Monaten vorbereitet hatte. Die Stadt zeigte sich von ihrer besten Seite, und Adam stand am Fenster im höchsten Stock des Regierungsgebäudes und betrachtete sie durch einen Spalt in den braunen Kunststoffgardinen. Sie hatten Glück: Der dichte Nebel, der die Stadt zu allen Zeiten bedeckte, war heute lockerer als sonst, und die Sonne, die sich weit über ihm versteckte, ließ ihn hell und fast weiß erscheinen. So hatte man einen hervorragenden Ausblick, konnte beinahe eine halbe Meile weit sehen. Bei gutem Wetter, fand Adam, gab der hellgraue Dunst, der in der Ferne die Gebäude verschluckte, der Stadt etwas mystisches. Hervor ragten nur die Türme des Generators. Dieses gigantische Bauwerk, auch wenn es Adam früher düster erschienen war, war Kern allen Lebens. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung fand dort Arbeit: Ob in den unterirdischen Gängen, die die ganze Stadt durchzogen und mit Sauerstoff versorgten, den hohen Türmen, in denen Regendampf zu Trinkwasser destilliert wurde, oder dem Kern des Generators selbst, der unermüdlich die Energie produzierte, die die ganze Stadt betrieb.
Von allen Bewerbern war Adam ausgewählt worden, den 100. Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas in Empfang zu nehmen. Er würde dabei sein, wenn Präsident August Solon, der erste aus dem Cryoschlaf wiedererwachte Mensch und Erbauer des Generators, und Präsident Thurrid Nye, 194. waltendes Staatsoberhaupt, sich begegnen würden. Er würde dabei sein, wenn Solon die Welt, für die er vor 200 Jahren den Samen gesät hatte, zum ersten Mal in ihrer vollen Pracht erblickte.
Präsident Solon war ein alter Mann. Im Alter von 82 Jahren war er, so hatte Adam in einer imposanten Filmaufzeichnung sehen können, unter dem Jubel der gesamten Nation in die Cryokapsel gestiegen. Er hatte gewunken und gelächelt in seinen letzten Minuten, und Adam hatte ihn für seinen Mut bewundert - er selbst, so hatte er überlegt, hätte sich das nicht getraut. Doch er hatte eine weise Entscheidung getroffen, ein Zeichen gesetzt für die Menschheit, für den Fortschritt. Er war es gewesen, der den Generator in Auftrag gegeben hatte. Er hatte verkündet, dass diese Maschine es sein würde, die den Menschen Ewigkeit brächte, darauf vertraue er mit seinem Leben - es waren keine leeren Worte geblieben.
Adam stockte der Atem, als die Tür sich öffnete. Und da stand er, August Solon, der 100. Präsident - und strahlte eine Würde und Weisheit aus, vor der Adam instinktiv den Kopf neigte. Dann fasste er sich und ging, unsicher, aber in dem Versuch dies zu verbergen, auf ihn zu.
“Präsident Solon. Es ist mir eine Ehre, Sie heute begleiten zu dürfen. Mein Name ist Adam Calix”, und er reichte ihm die Hand, eine Geste, die zu seinen Zeiten üblich gewesen war.
Der Präsident nickte und ergriff sie. Sein Händedruck war schwächer als Adam es sich vorgestellt hatte.
Hinter ihm betrat Präsident Thurrid Nye den Raum. Adam sah zu, wie auch sie sich die Hände schüttelten, und ein ehrfürchtiger Schauer lief ihm über den Rücken. Ihre Unterhaltung zog fast vollständig an ihm vorbei, während er sich auf seine Erläuterungen vorbereitete. Schließlich sah er Nye einen Schalter betätigen, der die Gardinen elegant aufschwingen ließ - eine technische Ausgefeiltheit, die Adam mit Stolz erfüllte und sicherlich auch Solon beeindruckte.
Die beiden Männer traten ans Fenster und Adam beobachtete sie. Sein Moment war gekommen. Er begann seine Rede.
“Unter sich sehen Sie die größte und glorreichste Stadt unserer Nation. Hier leben Bürger, die im Namen des Fortschritts tagein, tagaus aufopfernd und dankbar arbeiten, um unsere Nation mit Sauerstoff, Trinkwasser und Energie zu versorgen. Mit jedem Jahr sinkt die Rate, mit der sich unser Planet erwärmt. Die Ihnen bekannten Technologien wurden durch neue und bessere ersetzt, die vollständig mechanisch auskommen. Dadurch wird die Lufterwärmung durch Motoren, die früher unsere Maschinen betrieben, um achtzig Prozent reduziert.”
Er machte eine Pause um die Worte auf die beiden Männer wirken zu lassen. Keiner von ihnen regte sich.
“Wir zählen heute 23 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Sie alle leben in Städten wie dieser mit verschiedenen Ausführungen des Generators, doch unserer ist der größte.”
Eine weitere Pause.
“Unsere Bürger sind unser höchstes Gut. Jeden Tag wagen sich tausende von ihnen in den tiefsten Kern des Generators herab, um ihn durch eigene Körperkraft zu betreiben. Viele von ihnen sterben dort an den Gasen und der Hitze. Sie sterben heldenhaft, weil sie unser höchstes Ziel kennen: Den Fortschritt. Ohne ihr Opfer könnte die Nation nicht bestehen.”
“Tausende Menschen?”, fragte Solon tonlos.
“So ist es. Jeder von uns verbraucht kostbare Ressourcen, die unseren Kindern fehlen werden. Daher ist es uns eine Ehre, zu sterben. Eines Tages, so wird es in jeder Schule gelehrt, werden wir nicht mehr an Wasser und Nahrung sparen müssen. Dann wird jeder so viel haben können, wie er braucht.”
Solon schwieg.
“Wir alle haben die gleichen Rechte und Pflichten”, verkündete Adam stolz. “Männer, Frauen und Kinder. Sie alle sind gleich und arbeiten gleichermaßen für den Generator und den Fortschritt.”
Der ehemalige Präsident drehte sich langsam zu ihm um, sein Gesicht bleich, die Augen kalt. Adam erschrak.
“Das”, fragte er mit zitternder Stimme, “nennt ihr Fortschritt?”
Er trat zurück. Wandte sich vom Fenster ab und starrte ins Nichts. Seine Augen waren feucht.
Nye trat an ihn heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die beiden Männer sahen sich an, in stummem Einverständnis über etwas, das Adam verborgen blieb.
“Herr Präsident”, sagte Adam zögerlich. “Wir haben die Welt genommen, die Sie uns übergeben haben, und sie unter aller menschenmöglichen Anstrengung in das verwandelt, was Sie unter sich sehen.” Der Stolz in seiner Stimme war Unsicherheit gewichen.
“Mein Gott”, sagte August Solon und seine Stimme bebte, “das habt ihr. Hätte man mich doch nur gewarnt.”