Vor einigen Wochen hatte ich eine Begegnung in der S-Bahn. Ein Flyer in meiner Hand, der auf die Klimademo am kommenden Freitag aufmerksam machen sollte. Ein kritischer, fast ein wenig mitleidiger Blick des Mannes mir gegenüber. Und der Beginn einer Unterhaltung. Ich sprach davon, dass wir alle in der Pflicht seien etwas zu tun, und sei der Beitrag noch so klein. Von meinem Gesprächspartner jedoch waren hauptsächlich Spott und Verachtung für ‚meinen belang- und machtlosen Umweltschutz des Einzelnen‘ zu erwarten. In diesem Augenblick überkam mich ein solcher Frust. Denn während ähnliche Worte normalerweise an mir abprallten und mich höchstens mit Trotz erfüllten, stachen sie dieses Mal ein winzig kleines Loch in meinen mit Überzeugung gefüllten Gedankenballon – groß genug, um einen Satz, einem kleinen Monsterchen den Eintritt zu gewähren, das sich von diesem Moment an, ungefragt und ungebeten, in meinem Inneren einquartieren und ausbreiten sollte: Ist das, was ich tue wirklich sinnlos?
Betrachtet man die Situation objektiv, scheint der Mann aus der S-Bahn tatsächlich irgendwo Recht zu haben. Was macht mein Handeln schon aus. Ich bin doch bloß eine von 80 Millionen. Eine von 7,7 Milliarden. Schwindelerregende Dimensionen, in denen eine einzelne Handlung versinkt, ohne auch nur den kleinsten Hauch einer Welle auszulösen. Warum sollte man sein Handeln also trotzdem an den Umwelt- und Klimaschutz verlieren?
Doch nicht nur ich, nein, immer mehr Menschen haben in den letzten Jahren genau damit begonnen. Spätestens seit den Bränden in Australien, die uns die Folgen des Klimawandels unmittelbar vor Augen halten, ist der Klimawandel nicht mehr zu leugnen. Und in zündender Kombination mit Greta, die uns allen zeigt, wie konsequentes Handeln wirklich funktioniert, verspürt nun explosionsartig jeder das Verlangen, sein eigenes Gewissen angesichts der menschengemachten Klimaerwärmung zu stillen. In den Alltag integrierter Umweltschutz in Form von gespartem Plastik, getrenntem Müll und vegetarischem Essen ist so die Charakteristik einer Gesellschaft, die verzweifelt versucht, ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Die machtvollen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen bleiben dabei jedoch aus und hinterlassen das handelnde Individuum mit der Frage, ob sein bescheidener Beitrag überhaupt etwas bewirken kann.
Zur Beantwortung dieser Frage ist es manchmal einfacher sich das Wegfallen ebendieser Handlungen auszumalen, mit all den Lücken, die das hinterlassen würde. Was würde passieren, würde Öko-Jonas nun nicht mehr seine eigene Edelstahlbox zum Dönerstand mitnehmen, um sich sein vegetarisches Mittagessen dort umweltfreundlich und gewissensrein auftischen zu lassen? Der Mann mir gegenüber in der S-Bahn und auch mein neu einquartiertes ,Gedankenmonsterchen‘ würden darauf wahrscheinlich eine einfache Antwort haben: Nichts. Das Leben wäre einfacher und das Klima? Das kann Jonas alleine doch sowieso nicht ändern.
Ich möchte mich mit dieser Antwort jedoch nicht zufriedengeben. Ich möchte nicht akzeptieren, dass wir völlig machtlos, völlig ausgeliefert sind. Unser Beitrag muss doch schließlich auch einen gewissen Wert haben. Was wäre also wirklich, wenn…?
Würde Jonas seinen Döner nun gleichgültig entgegennehmen, mit Fleisch, doppelt verpackt und ungeachtet der Tatsache, dass bei dessen Produktion Tonnen an CO2 in die Luft gestoßen wurden, wäre das einer Kapitulation, einem kampflosen Untergang gleich. Es wäre das Begräbnis jeglicher Hoffnung auf eine umweltfreundliche Welt, auf ein stabiles Klima, auf eine lebenswerte Zukunft. Und ohne Hoffnung, existiert auch kein Weg.
Gleichzeitig ist der Effekt scheinbar einflussloser Handlungen möglicherweise doch größer als auf den ersten Blick ersichtlich. Öko-Jonas alleine spart durch seine Edelstahlbox 50 Aluminiumpapiere im Jahr – eine Zahl, die in die Statistik ohne jegliche Auswirkung eingeht. Doch während Jonas mit seiner Box in der Schlange steht, transportiert er durch diese Handlung die Thematik des Klimawandels in die Öffentlichkeit, wo sich ihr niemand mehr entziehen kann. Jeder Einzelne wird durch alltägliche Begegnungen gezwungen, der Gefahr des Klimawandels ins Auge zu sehen. Jeder Einzelne muss hinschauen und erkennen. Und jeder Einzelne geht dabei einen essentiellen Schritt im Kampf gegen ebendiese Gefahr. Denn erst im Bewusstsein wird der Weg für das längst überfällige Umdenken in der Gesellschaft geebnet und bereitet.
Schließlich darf man nicht vergessen, dass auch eine Masse nur aus Individuen gebildet wird, ebenso wie eine große Veränderung aus unzähligen Einzelhandlungen besteht. 1000 Mücken machen einen Elefanten. 1000 Mücken können ihn im gemeinsamen Kollektiv in Bewegung versetzen. Und genau das ist der Weg, der im Kampf gegen den Klimawandel beschritten werden muss. Jede Mücke zählt!
Einige Tage nach der Begegnung mit dem Mann aus der S-Bahn hatte ich es endlich geschafft, das Gefühl von Machtlosigkeit wieder aus meinem Inneren zu vertreiben. Ich schmiss das Monsterchen aus meinem Gedankenballon und füllte den freien Platz stattdessen mit einer mächtigen, hoffnungsvollen Erinnerung: jene, an meine allererste FridaysForFuture-Demo. Die optimistische Stimmung. Das Gefühl des Aufbruchs, der langersehnten Kursänderung. Die kollektive Energie. Während wir dort alle standen, viele einzelne Individuen vereinter und verbundener als je zuvor, erreichte mich der Klang Pink Floyds aus den Musikboxen: All in all we’re just another brick in the wall. Es stimmt, wir sind nur einzelne Ziegelsteine in einer gewaltigen Mauer. Aber was passiert, wenn die Ziegelsteine nach und nach entfernt werden? Dort oben eine Lücke und hier unten ein Spalt… Mit dem Klima spielt man besser kein Jenga.