Wohin der Steg führt? Der Steg ist der Weg. Warum fragt ihr? Ihr kennt ihn schon immer. Er trägt euch schon immer. Wir bauen ihn weiter in den See hinein. Er bringt uns… uns alle voran.
Manches Mal kam ein Unwetter, das einige Planken weggerissen hat. Das hat uns zurückgeworfen. Aber umso fleißiger haben wir danach weitergebaut.
Uns bringt voran, was all jene, die vor uns waren, dem Steg hinzugefügt haben. Mit jeder Generation wurde er länger, mit jeder Generation gewannen wir an Freiheit! Schaut, wie weit wir schon über das Wasser hinweg schreiten können, ohne nasse Füße zu bekommen. Können in alle Richtungen schauen und auch mal die Beine baumeln lassen. Was wir dem Steg hinzufügen, wird all jene, die nach uns kommen, voranbringen. Noch weiter.
Wie? Das Sägen, das Hämmern machen euch taub? Ihr meint, das Rammen der Pfähle lässt den ganzen See erzittern? Ihr wisst nicht mehr, wie die Stille klingt, bevor die Wärme des Tages die Nebelschleier vom Wasser hebt? Euch fehlt der Flug des Eisvogels? Das Aufblühen der Seerosen? Die Tänze der Haubentaucher? Aber jede Minute, die ihr am Steg baut, ist gut investiert! Ihr baut doch für unsere Zukunft. Für… für unser aller Zukunft. Sie ist so ungewiss. Zerbrechlich wie ein Libellenflügel. Ihr arbeitet daran, dass sie gut wird. Irgendwann wird jeder von uns einen Platz zum Angeln auf dem Steg haben. Jeder wird vom Reichtum des Sees schöpfen können. Dafür lohnt es sich, sich dem Bau ganz und gar zu verschreiben. So taten es schon jene vor uns. Seid ihr ihnen nicht dankbar? Seht, wie weit sie uns gebracht haben. Sie haben den Steg, wie er heute ist, ermöglicht.
Nichts ist möglich ohne den Steg.
Ach? Ach was. Ihr sehnt euch nach dem Sternenhimmel, der sich im Wasser spiegelt? Ihr arbeitet den ganzen langen Tag am Steg und fallt müde in eure Betten? Aber es steht euch doch frei, zu arbeiten! Ihr müsst doch nicht. Nicht so viel. Ihr seid doch frei!
Was sagt ihr? Was denn für eine Traurigkeit? Ihr fühlt eine Traurigkeit wie einen Schemen
unter der Oberfläche? Sie verunsichert euch? Manchmal scheint es euch, als würde der See klagen?
Heimlich leise trauern, während ihr kurz den Blick hebt und ihn über die Schilfgürtel wandern lasst? –
Aber was ist denn das für ein Unsinn. Das ist doch nur so ein Gefühl. Eine Einbildung. Unser Leben wird doch immer besser. Wer sollte da klagen? Ich glaube, ihr solltet euch mehr auf eure Arbeit konzentrieren. Konzentriert euch auf das, was wir messen und benennen können. Schließlich soll der Steg ja nicht schief und krumm werden, oder?
Sorgt euch nicht. Mit dem Steg sind wir auf der sicheren Seite. Ob das Wasser friert oder sich in Algenblüten verfärbt, wir behalten die Oberhand. Wir können sicher auf dem Steg entlanglaufen.
Habt keine Angst. Hört ihr? Ihr seid doch in Sicherheit!
Nein, tretet nicht daneben! Wer daneben tritt, ertrinkt… nein. Vergesst das Daneben. Es gibt den Steg. Klammert euch an den Steg. Er macht uns stark. Macht uns besser als die Anderen. Besser. Ja, sie nützen uns, solange sie da sind, deshalb wollen wir sie ja nicht zu schlecht behandeln. Ein paar Gefälligkeiten, eine Schmeichelei, ein bisschen Hilfe. Das tut uns ja nicht weh. Wir wollen ja, dass sie uns weiterhin unseren Beifang abnehmen.
Baut weiter am Steg. Seht ihr schon das andere Ufer? – Nicht? Also müssen wir schneller bauen. Schafft Planken herbei! Mehr Planken! – Wie? Alle unsere Bäume sind gefällt? Auch die Erlen? Die Weiden auch? Warum wachsen sie nicht schneller? Schafft mehr Bäume von den Anderen herbei! Mehr! Verfallt ihr in Panik? Merkt ihr, dass der See euch ansteckt mit seinem Sterben? Schneidet euch Knochen aus dem Leib, dass wir die verbauen können!
Ach – nein – vergesst – vergesst, vergnügt euch, lasst es euch gut gehen, es geht euch doch gut. Gut, nicht wahr? Es geht euch gut…
Kennt ihr solch einen Steg? Solch einen Baumeister? Lasst uns Fragen stellen. Lasst uns das Selbstverständliche in Frage stellen. Lasst uns lernen, zu schwimmen, nicht, zu lügen.
Der See trägt uns. Er nährt uns mit seinen Gründen und Geheimnissen, den Gesetzen folgend, denen jedes Wesen unterworfen ist. Wenn wir uns treiben lassen, hören wir sie vielleicht einmal wieder, die Stille eines nebelverhangenen Morgens. Und, vielleicht, tanzen ganz in unserer Nähe die Haubentaucher.