DIE SCHMELZE DES GRÖNLANDEISES IST NICHT MEHR ZU STOPPEN
Man sieht diese Überschrift in der Zeitung und denkt sich, naja, eigentlich nicht so viel. Manno, die armen Eisbären, das vielleicht. Dann beißt man zum Trost in seine Schokolade und vergisst die Sache wieder. Schade eigentlich.
Denn wem fällt ein, dass das Schmelzwasser Grönlands vielleicht den Golfstrom lahmlegt? Dass das danach innerhalb von zehn Jahren zu einer Eiszeit in Europa führen könnte (so die Doku „Eine unangenehme Wahrheit“)?
Damit willkommen bei den unvorhersehbaren Folgen des Klimawandels.
Unvorhersehbare Folgen sind seit 2020 eigentlich gar nicht mehr so ungewöhnlich. Da kommt ein Virus um die Ecke und plötzlich ist das Klopapier alle.
Nein, im Ernst. Dieses Jahr haben wir gelernt, dass man eine Krise nicht im Detail voraussehen kann. Keiner konnte wissen, dass eine Pandemie die mentale Gesundheit von Kindern gefährdet. Oder dazu führt, dass Esoteriker und Rechtsradikale sich auf einmal in einem Punkt einig sind. Und ganz ehrlich, am Anfang hätte auch keiner geglaubt, dass das Ganze wirklich zu einem globalen Problem ausartet.
Allein das kommt uns doch schon irgendwie bekannt vor. Vor drei Jahren war „Klima“ noch ein Wort, das Meteorologen und Hippies vorbehalten war. Die Erderwärmung war für viele noch weit weg: in Wuhan, sozusagen. Inzwischen aber haben auch wir in den westlichen Ländern gelernt, dass ein Ding namens „Krise“ auch uns betreffen kann. Ganz utopisch gedacht könnte Covid dazu führen, dass wir uns einmal hinsetzen und uns ausmalen, was ein wärmeres Klima eigentlich bedeutet: Mehr Dürre, unter anderem. Die zu mehr Armut führt. Die zu Hunger führt. Der zu Konflikten führt. Zu Kriegen.
Oder eben zu einer Eiszeit. Das schmelzende Grönlandeis ist eines von vielen Beispielen für sogenannte Kippunkte, die wir in den nächsten Jahrzehnten erreichen könnten. Punkte, an denen auch das vorbildlichste Verhalten gewisse Dinge nicht mehr rückgängig macht – und da kommen wir zu dem Teil, der auch mit Fantasie schwierig auszumalen ist.
Klar, da verliert man leicht die Hoffnung. Deshalb klappt man die Zeitung eben lieber zu, anstatt zu überlegen. Und wenn man dann doch einmal auf die Idee kommt, dass das Thema für die eigene Zukunft ziemlich ernst ist, behilft man sich gerne mit einem: Die Situation ist so irrsinnig, die gibt man am besten auf. Da kann ich doch auch ein bisschen durch die Gegend fliegen.
Irgendwie klingt das für mich wie der falsche Denkansatz.
Die Pandemie hat uns doch gezeigt, wie handlungsfähig wir sind. Wie sehr auch die Politik etwas tun kann, wenn sie den Ernst der Lage erkennt. Ich meine: Es wurde die gesamte Wirtschaft heruntergefahren, und dabei ein riesiger Schaden riskiert! Ironischerweise war dieser Schaden bisher immer das Argument, warum man keinen vernünftigen Klimaschutz betreiben könne. Doch siehe da: Man kann! Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich brauchen wir eine funktionierende Wirtschaft. Aber die Klimakrise zeigt uns, dass wir deren Form überdenken müssen. Vielleicht ist es Zeit, sich vom ewigen Wachstum zu verabschieden – und sei es nur, um zu garantieren, dass wir auch in Zukunft nicht zu viel von unserem Wohlstand einbüßen. Wann wäre ein solcher Systemwechsel leichter als jetzt, wo sowieso alles am Boden liegt?
Je nach Berechnung haben wir momentan noch sieben bis fünfzehn Jahre Zeit, bis alle Kippunkte erreicht sind. Natürlich geht die Welt dann nicht unter, aber es ist immerhin sicher, dass die Gesamtsituation dann kritisch wird.
Wie alt werden Sie zu diesem Zeitpunkt sein? Und haben Sie Kinder? Wie alt werden die sein?
Sie denken jetzt vielleicht, dass sieben Jahre zu kurz sind. Das schaffen wir eh nicht mehr, oder? Dann können wir es auch gleich lassen?
Stimmt nicht. Das Gute an der Sache ist nämlich, dass wir mehr Zeit gewinnen, je mehr wir tun. Die Berechnungen bezeichnen, was passiert, wenn unsere Emissionen nicht sinken. Je weniger Treibhausgase wir also ausstoßen, desto länger haben wir Zeit, uns noch weiter zu verbessern. Wir können das schaffen. Vielleicht müssen wir das einfach. Auch wenn das Grönlandeis laut dem SPIEGEL nicht mehr zu retten ist, gibt es noch eine Menge andere Kippunkte, die zu verhindern sich ziemlich lohnen würde.
Es gibt so viele gute Ideen. Stellen Sie sich Ihre Stadt in zehn Jahren vor. Diese ewig nervige Straße vor der Tür hat sich beruhigt. Direkt daneben wächst in Beeten Gemüse für jeden, der vorbeiläuft. Erinnern Sie sich noch an die hässliche Fassade vom Haus gegenüber? Jemand hat darauf Pflanzen wachsen lassen. Vielleicht taumelt gerade ein Schmetterling vorbei, wenn Sie aus dem Fenster schauen. Nächsten Urlaub geht es nach New York, da freuen Sie sich schon riesig drauf. Wie gut, dass es inzwischen Zeppeline gibt, die diese Strecke mit Solarenergie und Wasserstoff in weniger als drei Tagen schaffen. Fast freuen Sie sich noch mehr auf die kleine Suite im Zeppelin als auf New York an sich.
Natürlich, das alles ist Zukunftsmusik. Noch. All diese Dinge werden bereits ausprobiert, diskutiert und entwickelt. Selbst die Sache mit den Zeppelinen hat wieder Aufwind, seit bemerkt wurde, dass ja auch Flugzeuge abstürzen, nicht nur Zeppeline namens Hindenburg.
Warten Sie nicht auf die Politik, sondern zeigen Sie, dass wir diese Dinge brauchen. Diskutieren Sie. Informieren Sie sich. Pflanzen Sie irgendwo einen Himbeerstrauch.
Fangen Sie im Kleinen an. Lassen Sie das Auto stehen, fahren Sie Fahrrad. Reisen Sie mit Bus und Bahn. Investieren Sie in grüne Aktien (die haben eh die besten Zukunftschancen). Kaufen Sie regionales Essen, weniger Fleisch… eigentlich wissen Sie ja, was zu tun ist. Tun Sie es auch. Bitte. In fünfzehn Jahren bin ich 33, und ich wollte eigentlich ein schönes Leben haben.
Es könnte alles fürchterlich schiefgehen. Aber halten Sie daran fest, wie gut es werden könnte. Wir können das schaffen. Wir müssen.
Informieren Sie sich. Machen Sie sich die Bedeutung dessen, was Sie lesen, bewusst. Und ergreifen Sie unsere Chance:
Handeln Sie.