Das Zentrum
Einsendung von Carl Göb, 14 Jahre
Er erwachte in einem kleinen, dunklen Raum. Er schaltete das Licht ein. Es flackerte daraufhin kurz auf und erlosch gleich wieder. Nicht schon wieder, dachte er, jetzt muss ich nochmal einen Reparaturdienst beantragen. Er fuhr das Terminal zum Öffnen der Tür hoch. Wenigstens hab ich noch Strom. Ein hellblaues Licht erleuchtete das sonst komplett dunkle Schlafzimmer. Er wählte ein paar Zeichen aus und die schwere Eisentür, die ihn vom Rest der Bewohner trennte, schwang zur Seite. Eine angenehme Brise fegte ihm ins Gesicht und er genoss sie, obwohl er wusste, dass sie künstlich war. Schade eigentlich, aber eine echte wäre viel zu heiß, spekulierte er. Vor ihm war das Zentrum zu sehen. Hunderte von Menschen liefen wie Bienen in einem Stock hin und her. Das Zentrum war hell erleuchtet und hatte die Form einer Wabe. Außerdem war es in verschiedene Stockwerke unterteilt. Unten liefen die meisten Menschen herum auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Ein Stockwerk höher befand sich das Bewohner Stockwerk. Hier gab es nur die vielen hundert winzigen, luftdicht verschlossenen Schlafräume, welche im Falle einer Katastrophe auch als Rettungskapseln fungierten. Wie will man sonst entkommen?, fragte er sich, so tief im Meer. Noch ein Stockwerk höher gab es den Garten des Zentrums. Hier wurde in riesigen Mengen Nahrung angebaut, hauptsächlich eine gelbe Algenart. Er war die einzige Nahrungsquelle im kompletten Zentrum. Auf demselben Stockwerk befand sich der Wasserfilter, um das umliegende Meerwasser trinkbar zu machen. Das höchste Stockwerk war das Administrationsstockwerk. Hier wurden alle Anträge verarbeitet und alle Entscheidungen getroffen. Das gesamte Zentrum war in gleißend helles, weißes Licht getaucht. Der Mann schaute auf seinen Chip im Unterarm. Es öffnete sich ein holographisches Menü auf dem er den Reparaturservice auswählte und beantragte eine Reparatur der Lichtsysteme des Schlafraums B-349. Danach machte er sich auf den Weg zum Filtersystem. Plötzlich hörte er eine Detonation und die darauffolgenden Schreie und Alarmsirenen. Das Licht fing an zu flackern. Er blieb still und lief betrübt und lustlos zu seinem Raum. Bestimmt wieder ein Leck im Reaktor, dachte er, das würde das Flackern erklären. Doch nun ertönte eine Durchsage: Begeben sie sich zu ihren Rettungskapseln. Sofortige Evakuierung steht bevor. Begeben sie sich... Eine weitere Erschütterung ließ den Lautsprecher verstummen. Wie geheißen begab er sich in seine Rettungskapsel. Sein Terminal zeigte ihm sein Evakuierungsziel an: Zentrum G-36, pazifischer Ozean. Geschätzte Ankunftszeit 6 Stunden. Start in 3-2-1. Auf einmal starteten etwa 700 Rettungskapseln gleichzeitig wie ein Schwarm Bienen. Er sah nur noch wie Zentrum M-07, seine alte Heimat, zuerst implodierte und anschließend explodierte. Gleichgültig setzte er sich wieder in den Sitz seiner Kapsel. Die entstandene Druckwelle begleitete ihn noch mehrere Kilometer und ließ seine Kapsel vibrieren. Auf einmal sah er ganz müde aus. Aber er war nicht traurig oder bestürzt, denn er hatte vorher genauso wenig gehabt wie jetzt. Auf M-07 hatte er weder Familie noch Freunde gehabt. Er schaute nach, ob noch andere Rettungskapseln seinen Weg eingeschlagen hatten. Niemand. Er war alleine. Alleine im Meer, in 2.500 Metern Tiefe. Auf einem Weg in eine neue Welt. Schon wieder.