„Ach, du bist so ‘ne Ökotussi.“
Ich klappe meinen Mund auf. Wieder zu. Auf.
„Hä?“, entgegne ich eloquent. Mark hat mich echt überrumpelt. Bis vor einer Minute war das hier ein nettes, unbefangenes Partygespräch mit einem netten, unbefangenen Typen, aus dem Fußballclub meines besten Freundes. Wir treffen uns für gewöhnlich einmal im Jahr, wenn Tobi Geburtstag feiert, und verstehen uns eigentlich immer ganz gut.
Irgendwann haben wir sogar mal Nummern ausgetauscht, aber soweit, dass wir uns jemals geschrieben hätten, ging die Sympathie dann doch nie. Trotzdem hatten wir es auf Tobis Geburtstag immer lustig. Bis jetzt offenbar, wo ich ihm erzählt habe, dass ich eine „Fridays for Future“-Demo besucht habe. Gerade habe ich mich von seinem Kommentar erholt und möchte zu einer Erwiderung ansetzen, da legt er nach:
„Boah, sorry, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir keine Salamipizza geholt, echt, nä!“
Mein erster Impuls ist, wieder „Hä?“ zu sagen, aber im letzten Moment besinne ich mich und quetsche stattdessen raus: „Wie belieben?“ Mein nächster Impuls ist, meinen Kopf gegen die Tischplatte zu schlagen.
„Haha, wie belieben, du bist ja echt cool drauf. Ernsthaft, so witzig wie du immer rüberkommst, hätte ich nie gedacht, dass du so ‘ne Veganerin bist! Hast du nicht vorhin auch Pizza gegessen? Da ist doch Käse drauf!“
„Ja … schon.“ Es geht echt bergauf mit meinem sprachlichen Niveau.
„Ach, bist du da nicht so konsequent? Wie heißt das dann noch gleich? Da gibt‘s doch so einen bescheuerten Namen …“ Er denkt kurz nach. „Ach ja, Flexitarier, oder nein, Flexiganer!“ Er bricht in Gelächter aus.
„Äh“, sage ich, nutze aber die Zeit dann doch noch dazu, mir eine Erwiderung zu überlegen. „Also, eigentlich bin ich gar keine Veganerin“, erkläre ich, als Mark seinen Heiterkeitsausbruch überwunden hat. „Genau genommen bin ich nicht mal Vegetarierin. Ich kaufe nur Bio-Fleisch und nur ungefähr einmal im Monat, aber ...“
„Echt jetzt? Und was sagt Greta da dazu? Lassen die dich dann überhaupt teilnehmen an ihren Demos?“, unterbricht er mich.
„Nee“, entgegne ich sarkastisch, „wenn man da teilnehmen will, muss man mindestens Veganer Stufe fünf sein, da darf man nichts essen, was einen Schatten wirft.“
Zugegebenermaßen ist der Witz von den Simpsons geklaut, aber er verfehlt seine Wirkung nicht. Mark prustet wieder los.
„Haha, der war gut! Krass, dass du so was lustig findest!“
„Ja, doch, sogar als umweltbewusster Mensch darf man Spaß haben“, knurre ich.
„Jaa, schon klar“, beschwichtigt er mich, „aber viele von diesen Veganern sind so …“ Er beendet den Satz mit einer wirbelnden Handbewegung. Ich weiß ja sogar, was er meint.
Tatsächlich habe ich viele Freunde, die Veganer sind, und tatsächlich sind ein, zwei von ihnen manchmal etwas anstrengend. Allerhöchstens drei. Und natürlich habe ich mich auch schon über sie lustig gemacht. Aber Marks herablassende, spöttische Art regt mich so auf, dass ich sie jetzt gegen alle Vorwürfe in Schutz nehmen würde.
„Sind so was?“, fahre ich ihn an.
„Hey, jetzt sei doch nicht gleich beleidigt!“, meint er. „Ihr Ökos seid immer so empfindlich.“
„Ich bin nicht empfindlich!“, würde ich jetzt gerne schreien, aber ich befürchte, das würde meinen Standpunkt schwächen. Stattdessen ändere ich kurzentschlossen meine Strategie.
„Weißt du, wer wirklich empfindlich ist?“, frage ich. „Fußballfans.“ Vielleicht versteht er ja, was ich damit meine.
„Was meinst du denn jetzt damit?“, fragt er.
So viel dazu.
„Naja, weißt du, kaum verliert die eigene Mannschaft mal, fangen die sofort an, zu randalieren und andere Leute zusammenzuschlagen …“
„Ja, aber …“, japst er, seine Gesichtszüge sind ihm völlig entglitten. Er möchte wohl noch etwas sagen, aber ich setze gleich noch einen drauf: „Gerade ihr Fans vom FCN seid da ja total bekloppt. Da hat neulich sogar jemand eine U-Bahn-Fahrerin mit einem Feuerlöscher beworfen! Das geht ja mal gar nicht, oder?“
„Ja, nein, klar, aber …“
„Und außerdem“, fahre ich ungerührt fort, „saufen diese Fußballfans immer so maßlos. Echt schlimm. Beim Stadion ist nach so einem Spiel alles vollgekotzt. Und als Frau kann man ja kaum mehr Bahn fahren! Als Mann übrigens auch nicht. Ich stand mit einem Kumpel mal ewig in der Kälte, weil wir uns nicht in die S-Bahn getraut haben, weil er blöderweise ein Bayern-Trikot getragen hat.‟ Ich betrachte ihn lauernd und warte einige Sekunden, aber Mark ist immer noch ganz baff.
„Schlimm, diese Fußballfans“, sage ich noch einmal kopfschüttelnd und nehme einen großen Schluck aus meinem Glas.
„Aber der Großteil der Leute ist doch total friedlich!“, meckert mich Mark – gar nicht sehr friedlich – an. „Ich zum Beispiel gehe doch nicht ins Stadion, weil ich so gerne mal wieder randalieren möchte! Ich gehe da hin, weil mich der Sport interessiert und wenn wir dann gewinnen, freu‘ ich mich, und wenn uns die Schei… wenn uns die Fürther abziehen, klar ärger‘ ich mich dann, aber deshalb tu‘ ich doch niemandem was! Und naja, ich trink‘ da schon mal ein, zwei Bier, aber ich besaufe mich jetzt nicht total! Und …“
„Aber viele doch schon!“, unterbreche ich ihn schnell.
„Naja, viele … manche halt! Das sind halt Idioten, wir sind doch nicht alle so! Die meisten von uns sind ganz anders!“, rechtfertigt er sich. Ich grinse.
„Merkste was?“, frage ich ihn schelmisch.
„Hä?“, fragt er mindestens genauso eloquent wie ich vorher.
Ich trinke mein Glas aus und stehe auf.
„Denk mal drüber nach!“, lache ich und mache mich auf den Weg in die Küche, um mir ein neues Getränk zu mixen. Dort begegne ich Tobi.
„Was hast du denn mit dem armen Mark gemacht?“, fragt er „Der sieht ja aus, als wäre er gerade erleuchtet worden.“ Ich grinse und strecke meine Faust in den Himmel.
„Ich bin Ökotussi-Woman!“, rufe ich „Beschützerin der lustigen Ökos und Bekämpferin der Vorurteile!“
Vielleicht sollte ich mir ein Kostüm schneidern lassen, mit einem großen „Ö“ auf der Brust.
Stellt sich nur noch die Frage, aus welchem Material. Vegan oder plastikfrei?