Irgendwo weit unten dröhnt es aus dem Kalk heraus, laut und betäubend. An den Ufern der unerreichten Küsten riecht es nach verdautem Fisch, der braun – und wenn er alt ist auch grau - das Eis bedeckt. In den Tiefen ist es finster, wie auch in der trockengestarrten Troposphäre, von Winden geschüttelt hängt sie über allem, wie ein rauschender und stiller Schleier, nichts sieht man hindurch, nichts kann man hören, außer das Peitschen des Schnees, draußen an den Fenstern und drüben am großen Silo, und man meint ab und zu, wenn der Sturm ein wenig nachlässt, da meint man irgendwo in der Ferne Lichter zu erahnen, aber sicher kann man nicht sein. Nie kann man sich sicher sein.
Die Ionosphäre glimmt auf und ihr Glimmen wabert den Himmel entlang, schafft sich Raum, bahnt sich seinen polaren Weg, im Wasserspiegel meint man es zu erkennen, auf der feuchten Haut der Seeleoparden, in den Augen der Seevögel, wenn sie noch nicht in den Norden gezogen sind. Und irgendwo, weit, weit darunter stöhnt alt und tief der Kalk der Toten.
Die Zungen, die ins Meer lecken, werden bald selbst zu Meer geworden sein. Die Ufer werden unter ihnen begraben werden und rostende Skelette alter Stationen aller Länder zurücklassen. Vielleicht laichen die Fische dort einmal. Über die Jahrhunderte sammelt sich an ihnen stiller Kalk, der einsame Zeuge der Vergänglichkeit.
Man kann nicht hinaus, man verliert vollkommen den Halt, die Orientierung. Man bleibt, man sieht ab und an nach dem Dieselöl, man trinkt Wodka und liest die Postkarten, die man sich jedes Jahr gegenseitig schickt. Hin und wieder kommt es vor, dass man die Maschinen warten muss. Dann hört man es kärglich dröhnen, aus der Tiefe, vom Wasser her, und manchmal klingt es fast wie Gesang.
Unter den Füßen liegt, weit unter dem Eis, uraltes Gewässer, an dem einst die Welt zerbrochen ist, fremd und gewaltig liegt es dort, eingeschlossen in der Kälte, und vielleicht singt von dort der Kalk hinauf.
Die Lippen sind trocken und zerfurcht, die Zungen lecken das Salz, wie Ziegen, bevor sie sich darin verlieren. Einmal im Jahr kommen die großen Kettenraupen mit den Tankschlitten. Wenn bald nichts mehr hier ist, dann glimmt in der Ferne das Licht des Konvois durch den Schnee. Und manchmal hält man sich im Arm, wenn draußen nichts mehr sichtbar ist, wenn nur noch alles heult und kreischt.
Es scheint nicht richtig, man hört immer nur sich selbst und das Singen, das von unten heraufzieht. Auch in unruhigen Nächten, in denen man nicht schlafen kann. Es ist niemand hier. Niemand ist sonst noch hier. Hier ist niemand. Über den Zungen, im Nichts, lernt man, wie es ist, man selbst zu sein.
Der Himmel, wie von Asche durchzogen, legt sich über eine abnehmende Albedo. Schlieren aus Fahrzeugteilen und Öl ziehen sich wie Moränen unter ihm hinweg. Wie Brunnen tun sich daneben die Bohrlöcher auf, die sich über alles ungesehen ausschweigen.
Weit unten dröhnt es aus dem Kalk heraus, dumpf und schwer. Gondwanas Überreste liegen hier begraben, gefrorene Spuren fremden Lebens, zwischen Schmieröl und Frostschutzmittel, in unnahbarer Finsternis.
Im Westen kommt es uns abhanden, das Schelf bricht immerzu, bricht auf, und aus der Tiefe strömt warmer Kalk flüsternd an die Phasengrenzen, altes Benthos, zerfurcht und wieder angesiedelt, und auch im Osten schlägt das Land leck und hinterlässt verbrauchte Domänen.
Manchmal meint man draußen den Bohrer zu hören, der tausende Meter unter uns versunken scheint. Letzten Sommer standen wir mit seinen Eissäulen Arm in Arm. Ribosomale Bruchstücke, Aminosäuren, Überreste von Leben. An der einen Seite schmilzt das Eis unter gewaltigem Druck, während es auf der anderen gefriert. Einen Zentimeter Gezeiten und nach zehntausend Jahren gänzlich ersetzt. Nichts bleibt beim Alten. Die Fruchtblase des Theseus, sein Schiff nie gebaut.
Die Schiffe kommen im Sommer zu uns, wenn das Dröhnen, Brüllen und Heulen ein wenig nachgelassen hat. Der Hahnenfuß wächst an den Küsten und die Seggen blühen. Man sieht längst schon Vergangenes und liest in dem, das erst noch kommen wird. Sand unter Wasser und dahinter Eis, und im Kalk sammelt sich in endlosen Poren alte Zeit vor den Steilwänden des wüsten Landes.
Weites und weißes Land verwirbelt sich, stiebt auf, treibt dahin und legt sich wieder nieder. Im Grunde liegen die Destruenten wie immer zwischen ihrem Kalkgebette, ihrem Totenkalk, der eine immerwährende Decke bildet. Am Tage geht alles ineinander über: Weiß in Weiß, Schnee in Eis, Ton in Ton. Alles wird hier gleich. Das Rauschen, welches man vernimmt, klingt fast wie ein Klagelied.
Irgendwann werden die Zungen verschwunden sein. Dann werden sich andere Massen in Bewegung setzen, in anderen Teilen der Welt. Das Wasser bringt uns alle näher zusammen. Im Winter weicht das Dröhnen manchmal einem Knacken, welches markerschütternd durch die Stürme weht. Viel später werden sich Berge erheben, auf denen der Kalk an dünner Luft trocknet, erodiert und um die Welt geweht wird, sein Lied zu singen.
Was die Westwinde bringen, ist nicht zu sagen. Vielleicht sind es im Schelfeis erfrorene Gedanken, die immer wieder an die Küsten treiben. Im Sommer kommen die Schiffe aus Australien zu uns. Manchmal bringen sie Kohl und Karotten mit. Jahr für Jahr sieht man neue Gesichter, aber auch viele der alten kehren immer wieder. Auch die Schiffe bleiben nicht immer gleich. Irgendwann werden sie sich als zerfressene Titanen an anderen Küsten, ferneren Küsten, ärmeren Küsten in den Sand schieben und auf ihr endgültiges Ende warten.
Ihre Ruhestätten werden als erstes unter Wasser stehen, wenn tief vom Golf herauf die Stürme ziehen. Und irgendwo weit unten dröhnt es noch immer aus dem Kalk heraus.