An einem belanglosen Abend im November saß Jonas Qualmann spätnachts an seinem Schreibtisch. Er hatte den ganzen Tag über absolut nichts für seinen Text getan. Er war gescheitert, bevor er überhaupt angefangen hatte. Immer wieder hatte er sich gesagt, dass er kein Klimaforscher war und auch sonst keine Ahnung hatte. Sein Kopf war schon vor dem ersten Zeichen voller Selbstzweifel.
Konnte er seinen Text überhaupt ethisch korrekt zu Papier oder Computer oder was auch immer bringen? Wenn er ihn auf Papier schreiben würde, wäre sein Text nicht C02-neutral. Sollten die armen Bäume etwa für diesen Text bezahlen müssen. Im Gegensatz zu ihn taten die Bäume wenigstens was fürs Klima. Wenn er den Text aber auf Computer schreiben würde, wären die armen Kinder im Kongo und die nicht nachhaltige Lieferkette nach Deutschland und der Stromverbrauch seines Rechners das Problem. Einen Hinweis wie "bei der Entstehung dieses Textes kam unser Planet nicht zu schaden" konnte er schon jetzt vergessen. Und außer der Schädigung des Planeten war auch noch nicht wirklich viel herumgekommen. Wie sollte er überzeugend von Klimaneutralität reden, wenn er selbst sowas von nicht klimaneutral war.
Nachdem er die Teilnahmebedingungen gelesen hatte, war zumindest das geklärt. Wenn Jonas Qualmann mal mit den Selbstzweifeln angefangen hatte, konnte er nur sehr schwer damit aufhören. Es gab einfach so viel zum Verzweifeln. So kam er dazu sich zu sagen: „Es hat sowieso keinen Zweck. Die Welt ist sowieso im Eimer und was bringt es überhaupt noch, in so einem bescheuerten Beitrag klug daherzureden?“ Nichts und darauf erstmal ein saftiges Steak, dachte er sich.
Aber jetzt ein Steak zu essen, konnte er sich doch gerade noch verkneifen. Denn er erinnerte sich: Ach ja toll. Er war ja Vegetarier. Ganz toll, Herr Qualmann. Vegetarier zu sein war eine der Eigenschaften, mit denen er seine Mitmenschen zielsicher zu Tode nerven konnte und so dafür sorgte, dass sie auch ganz sicher keine Vegetarier mehr wurden. Aber davon, aus modischen Gründen kein Fleisch zu kaufen, konnte er sich bei seiner echt gruseligen CO2-Bilanz auch nichts kaufen. Er wollte sich nichts vormachen: Er war Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Aber wer war schon Teil der Lösung? Und daran waren auch ganz sicher nicht die Chinesen oder Amerikaner schuld, sondern er. Warum bekam er es einfach nicht auf die Reihe, endlich was an seinen Gewohnheiten zu ändern. Jetzt hatte er wenigstens ein Thema für seinen nächsten Text, dachte Jonas Qualmann sich.
Was würde er seinen Kindern sagen, wieso er und seine Freunde es nicht gepackt hatten. „Ich habe einen selbstzweifelnden Text geschrieben, weil ich leider zu bequem war, um demonstrieren zu gehen“, konnte er zwar sagen, er glaubte aber nicht, dass sein Kind dann sagen würde: „Is gebongt Papi, immerhin hast Du das Problem versucht zu lösen.“ Es würde wohl eher ein: „Und dir ist noch nicht mal eine Vernünftige Ausrede eingefallen“, sein.
Dabei fielen Jonas Qualmann jede Menge Ausreden ein. Dieser ganze Text war eine einzige Ausrede. Eine Ausrede für sein kurzsichtiges Verhalten. Seht her: Ich lasse mich von diesem Thema an den Rand des Wahnsinns treiben, weil ich ja auchso besorgt und bemüht bin! Was für ein Mumpitz. Allein dieser Gedanke: Lies diesen Text, auf den die Welt gewartet hat und werde danach zu einem ganz tollen Menschen, denn was ein sechzehnjähriger übermüdeter Kerl Dir zu sagen hat, kann dir kein anderer älterer, weiserer und ausgeschlafener Typ sagen. Im Grunde war er überhaupt nicht besser als all die Klimaleugner, er begründete es nur besser, was ihn noch unehrlicher und es damit auch nicht besser machte. Als Jonas Qualmann gerade eine besonders starke Phase Selbstzweifel hatte, begann er auch noch Selbstzweifel an seinen Selbstzweifeln zu bekommen. Das hatte ihm noch gefehlt. Was machte er hier überhaupt? Nur zu heulen machte es ja genauso wenig besser. Er war schließlich in der Pubertät und nicht in der Trotzphase. In einem Überschuss von einem Cocktail seiner Hormone begann er etwas furchtbar Kitschiges und Naives zu schreiben:
Wir hören, sehen und fühlen jeden Tag, wie unsere Umwelt vor die Hunde geht. Überschwemmungen, Wirbelstürme und besorgniserregende Zahlen, jeder von uns wird es kennen. Keine Frage: Diese Nachrichten sind schlimm. Doch noch viel schlimmer ist die Untätigkeit, die wir jeden Tag in uns selbst spüren. Und weil wir diese Untätigkeit nicht aushalten, füllen wir sie mit Ausreden für unser Verhalten.
Ausreden mit denen jeder von uns in seine eigene Welt flieht, in der sich jeder etwas anderes sagt.
Die einen mögen denken, dass die Menschen schon noch was gegen den Klimawandel erfinden werden, andere, dass eigentlich die Chinesen, Amerikaner, die Unternehmen, die Politik und wer weiß wer alle noch am eigenen CO2-Fußabdruck schuld sind und wieder andere glauben, dass sowieso alles gelogen ist. Was auch immer wir uns sagen, wir wissen, wie dünn die Fakten zu alledem sind. Ich bin alles andere als ein Experte, doch ich weiß, dass das nichts anderes als Ausreden sind. Unsere Ausreden machen es uns leicht zu glauben, dass alles nur ein Alptraum ist und wir irgendwann aufwachen werden. Doch dieser Glauben bringt uns nichts. Denn anstatt in unsere eigene Welt zu fliehen, sollten wir in die Welt zurückkommen, in der wir gemeinsam, ob wir das wollen oder nicht, ein Problem zu lösen haben. Die Klimakrise ist zu komplex, dass einer oder eine alleine sie verstehen oder gar beenden könnte. Wir sind also aufeinander angewiesen, um gemeinsam zuversichtlich zu bleiben. Denn so banal das klingt: uns bleibt nichts anderes übrig. Natürlich können wir auch den Teufel an die Wand malen und uns gegenseitig für die Situation verantwortlich machen, doch ich glaube, dass Feindbilder und Schreckensnachrichten nichts bringen, außer noch mehr Ausreden. Denn was uns wirklich berührt, sind Träume und echte Versprechen. Und damit meine ich nicht, dass wir morgen den Planeten gerettet haben müssen, aber ich meine, dass wir morgen damit angefangen haben müssen, indem wir gemeinsam realistisch und zuversichtlich werden.
Na ging doch. Zwei Minuten hatte er zum Schreiben dieser Erkenntnis gebraucht.
In zwei Minuten am Schreibtisch ließ sich das Klima zwar auch nicht retten, sondern nur ein paar Sätze aufs Papier bringen, aber Selbstmitleid und Angst hätten ihm noch viel weniger gebracht. Damit der Strom um diesen Text zu schreiben, nicht umsonst gewesen war, brauchte Jonas Qualmann jetzt noch ein paar Leser, die gemeinsam zuversichtlich und realistisch werden wollten. Und ja, das ist so zu lesen, wie es geschrieben ist: Los!