Mädchen halten sich für weniger begabt
Auswertung der PISA Studie 2018: Vor allem in eher gleichberechtigten Ländern ist das Stereotyp des begabteren Mannes verbreitet
Hältst du dich für talentiert? Glaubst du an deine Begabungen? Oder bist du in dieser Frage eher verhalten? Eine Sonderauswertung der PISA Studie 2018, in deren Rahmen mehr als 500.000 Schülerinnen und Schüler in 72 Ländern befragt wurden, hat ergeben, dass 15-jährige Mädchen sich für weniger begabt halten als gleichaltrige Jungs - paradoxerweise vor allem in wirtschaftlich weiter entwickelten Ländern mit größerer Gleichberechtigung.
Dieses Paradox hat schon viele Forschende vor Rätsel gestellt. Warum sind Mädchen in einem eher gleichberechtigten und wohlhabenden Land weniger selbstbewusst und ergreifen seltener MINT-Berufe als in Ländern, die in Sachen Gleichberechtigung noch mehr Nachholbedarf haben?
Clotilde Napp von der Universität Paris-Dauphine und Thomas Breda von der Paris School of Economics haben in ihrer Datenanalyse herausgearbeitet, dass dies vor allem in den Stereotypen begründet liegen könnte, die Talent grundsätzlich stärker mit Männern assoziieren. In ihrer Auswertung fanden sie heraus, dass es in nahezu allen beteiligten Ländern eine starke Tendenz gibt, Jungen für talentierter zu halten. Dies traf stärker auf wirtschaftlich weiter entwickelte Länder mit einer größeren Gleichberechtigung zu.
Talent-Stereotype
In der PISA Studie wurden neben der Erfassung verschiedener Kompetenzen auch Einstellungen abgefragt. So sollten die Teilnehmenden etwa angeben, ob sie fürchteten, zu wenig Talent zu haben, wenn sie persönlich scheiterten. Eine Aussage, der mit 61% deutlich mehr Mädchen zustimmten als Jungs (47%). Außerdem ging es auch um "Wettbewerbssituationen", Selbstbewusstsein und die Vorstellung, später einmal in einem Beruf der Informations- und Kommunikationstechnik zu arbeiten.
Den Forscher_innen zufolge müsse die Dimension des Talent-Stereotyps stärker in zukünftige Untersuchungen miteinbezogen werden, denn sie wirkt sich auf alle Bereiche aus: "So kann beispielsweise der Glaube, dass sie weniger begabt sind als Jungen, das Selbstvertrauen von Mädchen beeinträchtigen und sie dazu veranlassen, sich selbst zu schützen und somit herausfordernde Situationen und Gelegenheiten zu vermeiden und Studiengänge und Berufe zu wählen, bei denen der Erfolg nicht von besonderen Fähigkeiten abhängt." In der Folge wäre es auch nicht erstaunlich, dass Mädchen aus Ländern, in denen dieses Talent-Vorurteil besteht, auch seltener Berufe ergreifen, in denen (vermeintlich) ein besonderes Talent erforderlich ist, etwa Berufe im MINT-Bereich.
Deutschland lag in Sachen Talent-Stereotyp übrigens über dem Durchschnitt, der Glaube an die männliche Begabung ist hier offenbar sehr präsent.
Die Ergebnisse der Studie sind im Fachjournal ScienceAdvances erschienen.
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