300.000 Jahre alte Spuren eines Familienausflugs
Forscher:innen entdeckten die ältesten in Deutschland bekannten menschlichen Spuren. Sie stammen wahrscheinlich von der ausgestorbenen Art Homo heidelbergensis.
Bild: J. Serangeli/Senckenberg Potenzieller Homininen-Fußabdruck, der in Schöningen 13 II-2 Untere Berme gefunden wurde.
Einen spektakulären Fund hat ein internationales Forschungsteam in Schöningen in Niedersachsen gemacht. In dem im etwa 300.000 Jahre alten paläolithischen Fundstellenkomplex fanden sie menschliche Fußspuren - vermutlich von Homo heidelbergensis („Heidelberger Mensch"), einer ausgestorbenen Art der Gattung Mensch. Es sind die ältesten bekannten menschlichen Spuren, die je in Deutschland gefunden wurden.
Momentaufnahme eines Familienalltags
Zwei der drei menschlichen Spuren in Schöningen ordnen die Wissenschaftler:innen jungen Individuen zu, die in einer kleinen altersgemischten Gruppe den See und dessen Ressourcen nutzten. „Je nach Jahreszeit waren rund um den See Pflanzen, Früchte, Blätter, Triebe und Pilze verfügbar. Unsere Funde bestätigen, dass die ausgestorbene Menschenart sich an See- oder Flussufern mit flachem Wasser aufhielt. [...]“, so Dr. Flavio Altamura, Erstautor der Studie, die im Fachjournal „Quaternary Science Reviews“ erschienen ist. Die verschiedenen Spuren in Schöningen zeigen eine Momentaufnahme eines Familienalltags und können über das Verhalten und die soziale Zusammensetzung der Homininen-Gruppe Auskunft geben sowie über die räumliche Interaktion und Koexistenz mit Elefantenherden und anderen, kleineren Säugetieren, heißt es in der Studie. „Es handelt sich aufgrund der Spuren auch von Kindern und Jugendlichen wohl eher um einen Familienausflug als um eine Gruppe erwachsener Jagender“, fasst der Archäologe und Experte für fossile Fußabdrücke zusammen.
Umgeben sind die Abdrücke von mehreren Tierspuren – etwa von der ausgestorbenen Elefanten-Art Palaeoloxodon antiquus, einem Elefanten mit geraden Stoßzähnen, der damals das größte Landtier war und dessen ausgewachsene Bullen ein Körpergewicht von bis zu 13 Tonnen erreichten. „Die von uns entdeckten Elefantenspuren in Schöningen erreichen eine beachtliche Länge von 55 Zentimetern. In einigen Fällen haben wir auch Holzfragmente in den Spurrillen gefunden, die von den Tieren in den – damals weichen – Boden gedrückt wurden“, erläutert Dr. Jordi Serangeli, Grabungsleiter in Schöningen und ergänzt: „Eine Spur stammt zudem von einem Nashorn – Stephanorhinus kirchbergensis oder Stephanorhinus hemitoechus – und ist der erste Fußabdruck dieser Art aus dem Pleistozän, der in Europa gefunden wurde.“
Die Spuren gemeinsam zeichnen sie ein Bild des damaligen Ökosystems. Wie das ausgesehen haben könnte, beschreiben die Autor:innen der Studie so:
In einem von Gräsern bewachsenen offenen Birken- und Kiefernwald liegt ein wenige Kilometer langer und einige hundert Meter breiter See. An dessen schlammigen Ufern finden sich Herden von Elefanten, Nashörnern und Paarhufern ein, um zu trinken oder zu baden. Inmitten dieser Szenerie steht eine Kleinfamilie der „Heidelberger Menschen“, einer heute ausgestorbenen Menschenart.
Bild: Benoît Clarys So könnte es vor etwa 300.000 Jahren in Schöningen ausgesehen haben.
Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur freut sich: „Die neuen Erkenntnisse zeigen zum wiederholten Male die herausragende Bedeutung der Fundstelle Schöningen, welche bereits durch spektakuläre Funde, wie die berühmten neun Wurfspeere, eine Stoßlanze, zwei Wurfstöcke oder das nahezu vollständiges Skelett eines eurasischen Waldelefanten, bekannt ist. Die Untersuchung fossiler Spuren, auf die sich das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment und die Universität Tübingen seit 2018 in enger Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und anderen Institutionen konzentriert, hat ein enormes Potenzial für die Rekonstruktion eines zuverlässigen Bildes der prähistorischen Lebenswelt. Ich bin gespannt auf die Funde, die zukünftig in Schöningen geborgen werden!“
Finanziert wird das Projekt vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Universität Tübingen.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 19. Mai 2023