Am Götterbaum
Autor: Hans Pleschinski
Eine Stadträtin, eine Bibliothekarin und eine Schriftstellerin schlendern an einem kalten Märzabend durch München und reden. Über Paul Heyse, den ersten deutschen Literaturnobelpreisträger, über sein Leben und sein Werk, über seine alte Villa, aus der vielleicht, wenn es nach der Stadträtin geht, ein Paul Heyse Kulturzentrum werden könnte.
Sie reden aber auch über den beim Skifahren gebrochenen Fuß der Archivarin, die letzte Russlandreise der Schriftstellerin und darüber, dass die Stadträtin ständig kontrolliert, ob sie einen Tremor bekommt. Beim Spazieren warten sie auf den Heyse Experten aus Erlangen, der erst kurz vor ihrer Ankunft an der Villa gemeinsam mit seinem Mann zu ihnen stößt und die Dinge nicht unbedingt einfacher, aber doch dringlicher macht.
Immer wieder hängt jede und jeder von ihnen seinen Gedanken nach und ein Kapitel lang erlebt die Leserin auch Paul Heyse, der in seiner Villa in Italien sitzt und schreibt.
Pleschinski schreibt eindrücklich und kreiert ein vielschichtiges Bild von dem Literaturnobelpreisträger, München über die verschiedenen Zeiten und das Leben seiner drei Protagonistinnen. Das tut er auf eine zwar sehr literarische, teilweise allerdings auch recht verschwurbelte Art. Die Sätze klingen an einigen Stellen so intellektuell, dass ich mich gefragt habe, ob sie noch Inhalt haben. Hier und da lässt die Sprache einen das aber als gar nicht so wichtig empfinden.
Gleichzeitig schafft Pleschinski es, ganz alltägliche und sehr aktuelle Themen wie die Frage nach sozialem Wohnraum, Migrationsbewegungen, Sexualität und Kulturförderung mit Anekdoten und Fakten rund um Paul Heyse zu verbinden und gewährt der Leserin so nicht nur Einblicke in das Werk des Literaturnobelpreisträgers, sondern schafft ein Stück weit das, was das in dem Roman diskutrierte Paul Heyse-Kulturzentrum schaffen soll: Über den Autoren informieren und nebenher die Gegenwart nicht aus den Augen verlieren.
Wer einen ausgetüftelten Spannungsbogen erwartet, wird hier vermutlich enttäuscht werden. Pleschinskis Buch ist mehr wie eine Landschaftsaufnahme, in die man sich entspannt vertiefen kann, als ein Actionfilm. Das ist nicht unbedingt schlecht, sollte der potentiellen Leserin jedoch bewusst sein.
*Erschienen bei C.H.Beck*
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Autorin / Autor: karla94 - Stand: 23. August 2021