Atemblick mal

Forschung zeigt: Wahrnehmung passiert nicht nur im Gehirn, sondern wird von Atmung und Herzschlag beeinflusst

Atme mal tief durch, dann siehst du klarer - in diesem Satz steckt womöglich mehr Bedeutung, als wir dachten. Denn die Atmung hat tatsächlich einen Einfluss darauf, was wir sehen. Juliane Britz, Psychologin und Neurowissenschaftlerin an der Universität Freiburg, hat für ihre Studie ein Experiment entwickelt, das aufzeigt, wie der Rhythmus von Herzschlag und Atmung die Art beeinflusst, wie wir einen visuellen Reiz wahrnehmen.

In dem Experiment sollten Freiwillige auf einem Bildschirm kurzzeitig eingeblendete graue Quadrate erfassen, die diagonal mal in die eine, mal in die andere Richtung schraffiert waren. Nach jeder Einblendung beantworteten die Versuchspersonen zwei Fragen: ob sie die Muster gesehen hatten oder nicht und in welche Richtung die Schraffierung ging. Hinzu kam die Schwierigkeit, dass die Schraffierung einen geringen Kontrast hatte, sodass die Teilnehmenden sie nur in 50 Prozent der Fälle überhaupt bewusst mit den Augen wahrnehmen konnten. Interessant war aber, dass die angegebene Ausrichtung in 85 Prozent der Fälle richtig angegeben wurde. Die Testpersonen waren also ihrer Intuition gefolgt und lagen damit häufiger richtig, als wenn sie zufällig geantwortet hätten. Sie hatten also das Muster öfter erkannt, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Zusammenspiel zwischen Gehirnaktivität, Atmung und Herzhythmus

Während des gesamten Experiments wurden Gehirn- und die Herzaktivität der Teilnehmenden gemessen, und mithilfe eines Gürtels, der das Bauchvolumen bei Ein- und Ausatmung maß, wurde die Atmung erfasst. Juliane Britz untersuchte, wie sich die Hirnsignale unterscheiden, je nachdem ob eine Person die Schraffierung gesehen hat oder nicht. So konnte sie «neuronale Marker des Bewusstseins» identifizieren, also quasi eine Art Signalpunkte im Gehirn.

Anschließend verglich sie mit ihrem Team diese neuronalen Marker in unterschiedlichen Herzphasen. Die Analyse ergab: Wurde das Bild eingeblendet, wenn sich das Herz entspannte, erschienen die Marker etwa 150 Millisekunden früher, als wenn es in dem Moment auftauchte, in dem sich das Herz zusammenzog. Die Atmung hatte einen ähnlichen Effekt: Erschien das Bild beim Aus- statt beim Einatmen, war die gleiche Verzögerung feststellbar. Juliane Britz erklärt sich das so, dass die Gehirnaktivität über den Fließdruck des Blutes in den Arterien beeinflusst wird. Dieser Einfluss unterscheidet sich je nachdem, ob sich das Herz entspannt und man einatmet, oder sich das Herz zusammenzieht und man ausatmet.

Zwei getrennte Schaltkreise zum Bewusstsein

Diese Entdeckung mache deutlich, dass je nach den vom Körper gesendeten Signalen unterschiedliche Bereiche des Gehirns aktiv sind. Bisher war bekannt, dass ein Bild zuerst von der Sehrinde aufgenommen wird und dann durch andere Gehirnregionen wandert, bevor es den Ort erreicht, an dem es das bewusste Denken aktiviert – jener Moment also, in dem wir realisieren, dass wir die Muster gesehen haben. Die neuen Ergebnisse zeigen aber, dass die visuelle Information im Gehirn zwei verschiedene Wege einschlagen kann, je nachdem ob körperliche Signale an- oder abwesend sind. Es gibt also sozusagen zwei parallele Schaltkreise, was die wissenschaftliche Debatte anheizt, wo das Bewusstsein im Gehirn verankert ist. «Die Sache ist ganz einfach», so die Forscherin. «Es ist so, als gäbe es bei einem visuellen Stimulus zwei mögliche Aktivierungsmuster, je nachdem, ob Signale vom Körper kommen oder nicht.» Letztlich seien es also Herzschlag und Atmung, die über die Druckrezeptoren in den Arterien bestimmen, welchen Weg das, was wir sehen im Gehirn einschlägt. Ihre wichtigste Erkenntnis: Die Neurowissenschaften sollten weniger "gehirnzentriert" sein, denn das Gehirn sei "unentwirrbar mit dem Rest des Körpers verbunden."

Die Ergebnisse dieser vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie sind kürzlich in der Zeitschrift PNAS (*) erschienen.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 30. September 2024