Aufregende Zeiten

Autorin: Naoise Dolan
Übersetzt von: Anne-Kristin Mittag

Ava, 22, unterrichtet Englisch in Hongkong. Das ist erstmal nicht weiter ungewöhnlich, aber angesichts der Tatsache, dass Ava aus Irland kommt und selbst dann und wann mit dem britischen Englisch hadert, einigermaßen ironisch. Mit ihren Kolleg_innen kommt sie mehr oder weniger gut klar. Meist entschließt sie sich dazu, sie zu ignorieren und selten geht sie mit ihnen etwas trinken. Dennoch kommt ihr das Leben in Hongkong besser, aufregender, gelungener vor als das in Dublin.

In diesem Leben gibt es nämlich auch noch Julian, Avas Banker-Freund. Mit dem kann Ava reden und vor allem streiten und nach kurzer Zeit zieht sie schon, ganz platonisch natürlich, zu ihm. Warum auch nicht: Julian hat ein leeres Zimmer übrig, während Ava sich ihres mit Kakerlaken teilen muss.

Dann doch lieber ein freundschaftliches Zusammenleben, auch wenn es mit einem Banker ist. Naja, irgendwann ist es vielleicht nicht mehr ganz so platonisch zwischen den beiden, aber sie sind sich darin einig, dass Geschlechtsverkehr nicht direkt heißen muss, dass man auch Gefühle füreinander entwickelt.
So leben Ava und Julian ihre Nicht-Beziehung, deren verbale Auswüchse immer mal wieder toxisches Ausmaß annehmen.

Außerdem passen sie so überhaupt nicht zueinander: Er Brite aus der Oberschicht, sie Irin, die auf eine hypothetische Abtreibung spart. Dennoch kommen beide gut miteinander aus und ihre dezidierte Nicht-Beziehung geht, obwohl sie einander verletzen, solange gut, bis Julian eine längere Zeit weg ist.

In der Zeit lernt Ava Edith kennen. Edith, mit der sie in die Oper geht und die ihr Blumen schenkt. Edith, von der Ava gar nicht so richtig weiß, ob sie Frauen gut findet. Und dank der Ava sich fragen muss, wen sie eigentlich gut findet. Von Julian erzählt sie vorsichthalber nichts. Aber da ist ja nichts dabei, oder? Etwas auszulassen heißt schließlich nicht zu lügen.

Dolans Beschreibungen von Ava lassen das Bild einer fragilen, unsicheren und gleichzeitig unglaublich willensstarken jungen Frau entstehen. Da die Geschichte aus Avas Perspektive geschildert wird, begleitet die Leserin die Gedankengänge, in denen die Erzählerin Selbstzweifel von sich schiebt. Die so zum Vorschein kommenden Ängste und Sorgen sind herzzerreißend. Gleichzeitig erkennt man sich, als kaum ältere Leserin, peinlich berührt in dem Gefühl wieder, die Singularität der eigenen Gefühle und vor allem der Ablehnung der eigenen Person zu beanspruchen.

Eigentlich passiert in „Aufregende Zeiten“ nicht wahnsinnig viel. Es wird gefeiert, gewohnt, gemocht oder geliebt, getrunken, gegessen, telefoniert und unterrichtet. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es sich um aufregende Zeiten handelt. Die Geschichte ist sehr dicht erzählt, ist ein Gedankenstrom, auf den man sich einlassen muss. Dann entschält sich nach und nach die Protagonistin. Oder zumindest kann man sich das einbilden.


*Erschienen im Rowohlt Buchverlag *

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Autorin / Autor: karla94 - Stand: 19. April 2022