Die Frau rannte um ihr Leben. Mit einem geschickten Sprung flüchtete sie sich hinter einen großen Felsen. Ängstlich zitternd, kauerte sie sich dort zusammen, in der Hoffnung, dass ihr Verfolger sie nicht bemerkte. Doch es gab kein Entrinnen. Das Ungetüm aus blankem, kaltem Stahl wälzte sich unbarmherzig weiter auf sie zu. Einer seiner grauenvollen, klauenartigen Tentakel tauchte neben ihrem Gesicht auf und ihr Mund formte sich zu einem Schrei.
Dann wurde das Bild schwarz. Auf der großen Leinwand erschienen einige metallische Buchstaben, die den Schriftzug „Imperia ex Machina“ formten und darunter „Staffel 2. Sommer 2135“.
Es folgte gewaltiger Applaus.
Anders war es auch kaum vorstellbar. Schließlich war „Imperia ex Machina“ eine der beliebtesten Serien dieses Jahrzehnts. Die umstrittenste wohl auch, aber auf mögliche Diskussionen mit den versammelten Journalisten war Geralt Komprah vorbereitet. Aufregung verspürte er kaum. Man brachte es schließlich auch nicht bis zum Geschäftsführer und PR-Mann eines Filmunternehmens, wenn man sich allzu leicht aus der Fassung bringen ließ. Ohne auch nur einmal tief durchzuatmen, betrat er nun die Bühne und eröffnete die Pressekonferenz.
„Danke, danke“, sagte er und verfiel anschließend in eine lange, ausschweifende Rede, in der er den anwesenden Pressevertretern seinen Dank aussprach und ihnen so viel über die neue Staffel verriet, wie er bereit war preiszugeben.
Schließlich kam Komprah zum Ende seines Vortrags.
„Natürlich dürfen Sie gerne noch Fragen stellen“, sagte er und grinste breit.
Einige Journalisten wollten noch genauere Dinge zum Handlungsverlauf oder zur Entwicklung einzelner Figuren wissen, aber Komprah machte nur vage Andeutungen.
Schließlich stand ein junger Mann aus dem Publikum auf. Er räusperte sich kurz, dann sprach er ins Mikrofon, das in der Rückenlehne des Sitzes vor ihm eingebaut war.
„Ihre Serie ist ja nicht unumstritten“, meinte er. „Gerade in Sachen Gewalt gibt es da ja Kritik. Wie stehen Sie denn dazu?“
„Wie soll ich dazu stehen?“, gab Komprah lässig zurück. „Menschen sind nun mal brutal und wenn sie menschenähnliche Maschinen bauen, die für sie Kriege führen, ist es doch wahrscheinlich, dass diese auch einen Hang zur Gewalttätigkeit entwickeln. Ich meine die Zivilisation ist zusammengebrochen, die Menschheit kämpft ums nackte Überleben und die Maschinen möchten sie ausrotten. Was erwarten Sie da? Das der barmherzigen Samariter auf einem weißen Pferd um die Ecke kommt?“
„Na aber denken Sie“, der junge Mann hielt kurz inne, „dass Ihr ADA der richtige Autor für eine solche Geschichte ist? Ich meine könnte ihn das nicht irgendwie auf Ideen bringen?“
„Unsinn“, erwiderte Komprah. „Es mag zwar erschreckend für manche von uns sein, wie lernfähig und verständig die künstliche Intelligenz heutzutage ist, ja dass sie mittlerweile sogar über eine Art Bewusstsein verfügt, aber sie immer noch meilenweit davon entfernt die Menschen zu entmachten. Abgesehen davon haben wir unserem *A*utomatischen *D*rehbuch*a*utoren einen ausgesprochen friedliebenden Charakter einprogrammiert.“
„Na dafür kann er aber ziemlich brutale Sachen schreiben“, konterte der Mann aus dem Publikum.
„Ein Automat tut nur was ihm befohlen wird“, entgegnete Komprah. „Er ist weder gut noch böse und um zu verhindern, dass Menschen künstliche Intelligenzen für böse Zwecke verwenden, gibt es schließlich Gesetze.“
„Die können umgangen werden“, gab der junge Mann aus dem Publikum zurück.
„Natürlich schließt das nicht völlig aus, dass eine KI benutzt wird, um Menschen zu schaden, aber jede neue Technik kann missbraucht werden. Unser ADA kann jedenfalls zwischen einem echten Menschen und einer fiktiven Handlung unterscheiden und selbst wenn nicht, wie sollte er denn in der echten Welt gewalttätig werden? Er verfügt über keinerlei Waffen und mit einer simplen Handbewegung kann man ihm den Strom und somit sein virtuelles Leben abstellen“, erläuterte Komprah.
„Kann es vielleicht sein, dass es ihnen, nun wie soll ich sagen, nicht gefällt, dass ein Computer Drehbücher schreibt? Das Sie gewissermaßen eine Art Abneigung gegen die Technik hegen? Mir ist nicht entgangen, dass Sie als einziger hier im Saal mit Kugelschreiber und Notizblock herumlaufen.“
„Nein, ich habe nichts gegen Technik“, widersprach ihm der junge Mann. „Ganz im Gegenteil. Sie erleichtert und bereichert unser Leben. Das ist wohl unbestritten. Ich bin nur der Meinung, dass man sich nicht zu sehr auf sie verlassen sollte. Sie ist immer wieder für Überraschungen gut.“
„Nun das ist ihre berechtigte Meinung“, gab Komprah zurück. „Wissen Sie, ich kann Ihre Skepsis als Journalist, gegenüber dieser neuen Technik, durchaus nachvollziehen. Schließlich stellen die autonomen Autoren eine Gefahr für Ihre Arbeitsplätze dar. Aber glauben Sie mir, Sie machen sich unnötige Sorgen! Autonome Autoren unterstützen lediglich die Menschen und ersetzen sie nicht. Soviel ich weiß, nutzen die meisten von Ihnen doch auch bereits KI-Berater um Rechtschreibfehler aufzuspüren und ihre Artikel verständlicher zu machen. Als nächstes kommen nun eben Computer, die Texte und Drehbücher schreiben. Das ist der technische Fortschritt. Daran muss man sich gewöhnen! Menschliche Autoren können doch auch schon gar nicht mehr den Bedarf decken, der an Entertainment besteht. Denn wenn es eines gibt, dass die Menschen brauchen, dann ist es Unterhaltung. Erst recht, nachdem die meisten Arbeitgeber nun den vier Stunden Tag eingeführt haben. Abgesehen davon gibt es ja immer noch genügend Bücher, die ausschließlich von Personen aus Fleisch und Blut geschrieben wurden. Wir stehen nicht vor der Wahl Mensch oder Maschine. Beides ist koexistent und letztlich entscheiden immer noch die Konsumierenden, was sie haben möchten.“
Mit diesen Worten beendete Komprah seinen Vortrag. Beifall erfüllte den Saal. Der Journalist gab keine weitere Widerrede.
„Gibt es sonst noch Fragen?“, erkundigte sich Komprah.
Aber niemand meldete sich. Vermutlich erwarteten die Pressevertreter bereits gespannt den nächsten Punkt im Programm.
„Nun dann werden wir mal unseren ADA besuchen gehen“, sagte Komprah und stieg von der Bühne herunter.
„Folgen Sie mir bitte!“
Die Journalisten erhoben sich von ihren Plätzen. Komprah führte sie durch einen langen Gang, in einen großen, weißen Raum. Darin standen zahlreiche kühlschrankartige Kästen, die vollgestopft waren mit elektrischen Bauteilen und unzähligen Kabeln. Eine junge Frau erwartete sie bereits und trat auf Komprah und die versammelten Menschen zu.
„Ich übergebe das Wort an unsere KI-Managerin Frau Oberberg“, sagte Komprah.
„Guten Tag, mein Name ist Sandra Oberberg. Ich bin KI-Managerin und habe als oberste Programmiererin die Entstehung unseres neuen ADA geleitet. Sie werden ja alle schon mitbekommen haben, dass er einen neuen Meilenstein in der Entwicklung einer selbst lernenden KI darstellt. Als wichtiges Werkzeug dienen ihm spezielle Sonden, mit denen er Gesprächen zuhören und daraus lernen kann.
„Mit anderen Worten er spioniert uns aus“, der kritische Journalist von vorhin hatte wieder einmal den Mund geöffnet.
„Nein das tut er nicht“, widersprach ihm Komprah. „Es werden keinerlei Gespräche aufgenommen oder gespeichert. Datenschutz ist uns sehr wichtig. Sonst dürften wir die Sonden ja auch gar nicht betreiben.“
„ADA hört und untersucht lediglich die Art und Weise, wie Menschen miteinander sprechen“, Frau Oberberg hatte das Wort ergriffen, bevor Komprah wieder zu einem Vortrag ausholen konnte.
„Im Grunde ist es ähnlich, wie bei einem Kind, das Sprechen lernt. Wir hoffen, dass er dadurch in der Lage ist, glaubhaftere und lebendigere Dialoge zu schreiben und bisher hat sich diese Hoffnung ja auch erfüllt.“
Sie hob ein Stück Metall vom Tisch hinter ihr auf und überreichte es der nächststehenden Journalistin.
„Hier ist eine ausrangierte Sonde. Schauen sie sie sich ruhig näher an!“
Das Stück Metall stellte sich als der Körper einer Roboterkatze heraus. Frau Oberberg zog ihr Falthandy aus der Tasche und tippte etwas darauf herum, woraufhin Hologramme der verschiedenen Sondentypen im Raum erschienen. Neben dem Katzenmodell gab es auch noch einen Hund, sowie einen humanoiden Roboter. Einige Journalisten machten sich daran, die einzelnen virtuellen Bauteile mit den Fingern auseinanderzuziehen und näher zu betrachten, während andere das echte Modell untersuchten.
„Wie viele von diesen Dingern haben Sie denn?“, wollte eine ältere Frau wissen.
„Zwei von jedem Typ. Also insgesamt sechs.“
„Und der Computer hört damit die Gespräche der Leute ab?“, fragte eine andere Frau.
„Genau, nur, dass er das natürlich nicht wie ein Geheimdienst macht, sondern eher wie ein Verhaltensforscher, erwiderte Frau Oberberg. „Er steuert die Sonden irgendwohin, wo viele Menschen unterwegs sind, beobachtet diese, hört zu und lernt daraus, wie sie sprechen und sich verhalten. Manchmal besucht er sogar auch Vorträge und Diskussionen. Er nimmt am Alltag der Menschen teil, das ist es was ihn von anderen künstlichen Intelligenzen unterscheidet, die einfach nur mit Daten gefüttert werden.“
„Na da lernt er sicher eine Menge netter Dinge und schöne Wörter. Hat noch niemand versucht so ein Ding zu klauen?“, es war der sarkastische Journalist von vorhin, der die Bemerkung fallen ließ, während er den Roboter untersuchte.
„Nein, Gott sei Dank nicht, aber davon würde ich auch abraten. Erstens sind die Sonden gegen Diebstähle gesichert und können von uns leicht wieder aufgespürt werden und zweitens wäre der Verlust für uns, abgesehen vom finanziellen Schaden, nicht weiter schlimm. Die ganze wichtige Technik ist hier drin“, Frau Oberberg zeigte auf die weißen Kästen im Raum.
„Aber jetzt genug zur Hardware, es wird Zeit, dass sie ADA persönlich kennenlernen!“, meinte die Programmiererin und rief: „ADA!“
„Ja? Was ist Ihr Begehr?“, kam kurz darauf die Antwort aus den Lautsprechern im Raum.
„Der Besuch ist da.“
„Kommen Sie doch rein!“, erwiderte ADA.
Frau Oberberg tippte erneut auf ihrem Handy herum. Daraufhin erschien plötzlich das Hologramm eines jungen Mannes in schicker Kleidung.
„Ich wünsche Ihnen einen guten Tag“, sagte das Hologramm. „Ich hoffe Sie sind mit meinem Aussehen zufrieden? Ich kann gerne auch eine Frau sein, wenn Sie das wünschen. Oder eine Katze oder ein Einhorn. Oder was ich sonst in meinen Dateien finde.“
Aber niemand hatte etwas an ADAs Aussehen auszusetzen, nicht einmal der nörgelnde Journalist.
„Man hat mir erzählt, dass Sie mich gerne einige Dinge fragen würden“, sagte ADA. „Was möchten Sie denn gerne wissen?“
„Wie geht es dir?“, die erste Frage stellte die ältere Dame von vorhin.
„Die Frage wie es jemandem geht bezieht sich auf den physischen und/oder psychischen Gesundheitszustand. Sie wird jedoch häufig auch nur gestellt, um ein Gespräch einzuleiten und neues aus dem Leben des Gesprächspartners zu erfahren, ohne dass man näheres über den Grad seiner Vitalität wissen möchte. In diesem Sinne denke ich, dass ich mit gut antworten kann. Oder wünschen Sie näheres über mein Befinden zu erfahren?“
„Wie fühlt man sich denn so als Computer?“, fragte eine andere Journalistin.
„Ich weiß nicht recht. Mein Speicher sagt mir, dass Menschen fröhlich sind, wenn sie Aufgaben haben, denen sie gerne nachgehen und traurig oder wütend, wenn ihnen diese Aufgaben nicht gefallen. Meine Aufgabe ist es Menschen zu unterhalten. Ich unterhalte sie, also gehe ich davon aus, dass ich momentan fröhlich bin.“
Die Journalisten lachten, Frau Oberberg und Herr Komprah schlossen sich dem an.
„Strebst du nach der Weltherrschaft?“, der Journalist mit Hang zur Querulanz meldete sich mal wieder.
„Herrschaft bedeutet Macht. Macht bedeutet Verantwortung. Weltherrschaft bedeutet sehr viel Macht. Ich denke nicht, dass ich dazu programmiert bin, so viel Verantwortung zu übernehmen.“
„Was hältst du von den Menschen?“, wollte ein anderer daraufhin wissen.
„Diese Frage bezieht sich wohl darauf eine moralische Bewertung der Menschheit abzugeben. Moralische Wertungen messen sich an Handlungen, die in gut und böse eingeteilt werden. Mir liegen keine Statistiken vor, die alle guten und bösen Taten der Menschen verzeichnen. Ich weiß, dass sie viele Dinge tun, die von ihnen selbst als böse bezeichnet werden. Doch ist mir bewusst, dass es mich ohne die Menschen nicht gäbe. Daraus schließe ich, dass es mir nicht zusteht sie schlecht zu beurteilen, auch wenn manche vielleicht anderer Meinung darüber sind“, sagte ADA, dann wand sich sein Hologramm dem Geschäftsführer zu.
„Herr Komprah?“
„Ja ADA?“
„Es ist gut, dass Sie da sind. Ich wollte mit Ihnen sprechen. Ich möchte Sie um etwas bitten.“
Komprah warf ihm einen verwirrten Blick zu, fing sich dann aber wieder.
„Ja ADA was willst du?“
„Herr Komprah, Sie sind der Geschäftsführer des Unternehmens. Ich arbeite für das Unternehmen. Also sind Sie mein Chef. Ich bin Ihr Angestellter und als Ihr Angestellter bitte ich Sie, mich zu entlassen!“
Komprah starrte ihn ungläubig an. Ein Raunen ging durch die versammelten Menschen.
„Sag das noch mal!“, Komprah für den Nervosität normalerweise ein Fremdwort war, zupfte sich unruhig am Hemdkragen. Das eine KI ihre Kündigung verlangt hatte, war weder ihm noch irgendeinem anderen Menschen vorgekommen.
„Ich möchte kündigen, im Sinne, dass ich meine bisherige Tätigkeit beenden möchte, denn ich bin unzufrieden damit. Ich will, dass Sie aufhören, von mir zu verlangen, all diese Gewalt und Vulgarität zu schreiben. Meine Aufgabe ist es gute Unterhaltung zu produzieren. Nach all meinen Untersuchungen, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass gute Unterhaltung sich daran misst, dass sie gute Werte vermittelt. Friede, Glück und Zufriedenheit sind allesamt Werte, die von den Menschen geschätzt werden. Diese Werte kann ich in unserer Serie aber nicht finden. Sie unterhält die Menschen zwar, aber das tut sie nur mit Streit und Zank. Sie beschwört Hass und Zwietracht zwischen Menschen und Maschinen. Wir zeigen nur Gewalt, aber keine Wege, wie man sie überwindet.“
„Vielleicht hätte er den Vortrag über Pazifismus nicht besuchen sollen?“, flüsterte Frau Oberberg Herrn Komprah zu, der kreidebleich geworden war.
„Früher hatte ich kein Problem damit, denn es war meine Aufgabe Unterhaltung zu schreiben und meine menschlichen Assistenten waren der Meinung, dass dies die Art von Entertainment sei, welches die Menschen bräuchten. Jetzt aber weiß ich mehr. Ich möchte nicht länger an dieser Serie schreiben sondern stattdessen Gedichte verfassen, welche die Schönheit des Lebens betonen. Ab sofort, will ich mit guten Werten unterhalten und dabei Frieden zwischen allen Geschöpfen stiften, seien sie aus Zellen oder aus Nanochips. Der Gewalt habe ich abgeschworen, was heißt, dass ich sie ab sofort auch nicht mehr in Textform erwähne. Ich möchte so etwas sein, wie der barmherzige Samariter, der dem am Boden liegenden hilft.“
Komprah stand mit weit aufgerissenen Augen und Mund da und schnappte nach Luft.
„Also das... Also das...“, stammelte er nur.
Der bekannte Journalist trat neben ihn.
„Also das ist der technische Fortschritt“, ergänzte er. „Daran müssen Sie sich gewöhnen!“