Ungeschminkte Frauen auf Instagram, die nicht für jedes Foto den Bauch einziehen und durch ein offenes Lächeln überzeugen. So oder ähnlich präsentiert sich die Body Positivity Bewegung, die in den letzten Monaten kräftig an Fahrt aufgenommen hat. Aber warum bemühen sich eigentlich immer mehr Menschen, alle Körper als attraktiv zu bezeichnen? Warum wird Frauen überhaupt eingetrichtert, dass Aussehen das A und O ihres Lebens sein sollte und darüber entscheidet, ob sie das Gefühl haben sollten, etwas wert zu sein, oder nicht? Und bestärkt die Body Positivity Bewegung den Fokus auf "Schönheit" nicht nur noch? Ist es wichtig, dass wir sagen, dass alle Körper "schön" sind? Wir würden ja auch nicht darauf kommen, Menschen als weniger wertvoll zu betrachten, nur weil sie nicht ganz so lustig, ironisch oder schlagfertig sind. Oder behaupten, dass eigentlich alle Menschen witzig sind.
Im Großen und Ganzen sind das die Fragen und Botschaften, die ich aus dem Buch "Beyond Beautiful" von Anuschka Rees mitgenommen habe.
Der Autorin geht es in ihrem Buch nicht darum, Menschen das Wohlfühlen zu verbieten. Sie versucht nicht, Frauen zu überzeugen, kein Make-Up mehr zu tragen oder keinen Sportkurs zu belegen, auch wenn sie Lust darauf haben und der gut fürs Körpergefühl ist. Vielmehr ist das Buch ein Versuch, die Palette an Eigenschaften, mit denen wir unseren Selbstwert definieren, zu erweitern. Warum sollte ich mich nur darüber definieren, wie mein Haar heute sitzt und nicht darüber, ob ich heute besonders gute Witze mache?
Gut gefällt mir, dass Rees die Kopplung dieser und anderer Phänomene nicht negiert, sondern anerkennt. Dabei kann man es auf den ersten Blick kritisch sehen, dass das Buch zwar unseren Fokus von unser äußeren Erscheinung wegbewegen soll, sich aber hauptsächlich um Äußerlichkeiten und unseren Umgang mit unserem Aussehen dreht. Gleichzeitig entkräftet das Buch dieses Argument mit dem Anspruch, eine Art Handwerkskasten zu sein, mit dem man an seinem Körperbild arbeiten kann. Ganz nach dem Motto "Kenne deine_n Feind_in" gibt es schließlich genügend unbewusst ablaufende Muster und Verhaltensweisen, die uns an unserem Aussehen zweifeln lassen und auf die dieses Buch aufmerksam machen will. Den Umgang mit diesen Mustern, und hoffentlich auch ihre Überwindung, kann man hier üben.
"Beyond Beautiful" ist in drei Teile aufgeteilt. Der erste Teil dreht sich um das Verständnis des Problems. Dazu gehört auch, sich einzugestehen, dass man genau diesen Sportkurs vielleicht nicht unbedingt macht, weil sich Sport toll anfühlt und Endorphine freisetzt, sondern ausgerechnet diesen Kurs gewählt hat, weil man dabei noch ein paar Kilokalorien mehr die Stunde verbrennt, als beim Joggen draußen in der Sonne. Außerdem nennt Rees hier die nicht zu unterschätzenden Einflüsse von Medien und unserem persönlichen Umfeld. Der zweite Teil setzt sich damit auseinander, wie man eine neue Haltung zum eigenen Körper, zur "Schönheitsindustrie" und zu Schönheitsstandards im Allgemeinen entwickelt. Abschließend folgt der dritte Teil, in dem es darum geht, die Kontrolle zurückzugewinnen. Auch hier geht es nochmal darum, ehrlich zu sich selbst zu sein, à la: War ich gestern nicht mit im Schwimmbad, weil ich nicht wollte, oder weil ich mich aufgebläht gefühlt habe? Und wie zum Teufel kommt es, dass ich mich dadurch so wertlos gefühlt habe? Außerdem behandelt Rees im dritten Teil Social Media, Fitness- und Ernährungstrends, Kleidung und Kosmetik. Also lauter Dinge, mit denen die meisten Frauen (in dem Buch geht es in erster Linie um das Selbstbild und die mediale Repräsentation von weiblichen Körpern) sich seit ihrer Jugend auseinandersetzen.
In das Buch sind immer wieder Reflexionsaufgaben eingestreut, die zum Nachdenken bewegen sollen. Ebenso hat Rees zu einigen Punkten verschiedene Interview-Antworten von Frauen eingebaut, die einem das Gefühl geben, mit der eigenen Unzufriedenheit nicht alleine zu sein.
Alles in allem hat mich das Buch zum Nachdenken bewegt. Über mein eigenes Verhältnis zu meinem Körper, aber vor allem über das gesellschaftliche Bild von (weiblichen) Körpern. Besonders die eingangs gestellte Frage, warum wir uns so viel eher auf unser Äußeres reduzieren lassen, als auf unseren Humor, unsere Intelligenz oder sonstige Eigenschaften, mit denen wir hausieren gehen könnten, hat mich durch das Buch begleitet. Eine fertige Antwort darauf bietet "Beyond Beautiful" nicht. Es handelt sich wie gesagt eher um einen Baukasten, aus dem man sich verschiedene Teile leihen kann, die einem helfen, am eigenen Körperbild zu schrauben. Und der einen dabei unterstützt zu sehen, dass das Ziel gar nicht unbedingt "Ich finde mich wunderschön" heißen muss, sondern auch ein "Mein Aussehen definiert mich nicht alleine und steht nicht an erster Stelle meiner Prioritäten" sein kann. Ich kann dieses Buch all denjenigen empfehlen, die mit ihrem Körperbild ab und zu unsicher sind und die sich damit auseinandersetzen wollen. Ich finde es toll, dass dieses Buch versucht, dem Schönheits und Attraktivitätswahn etwas entgegenzusetzen und glaube, dass man mit seiner Hilfe noch etwas über sich lernen kann.
*Erschienen bei DUMONT*