Bis in die Unsterblichkeit: 2084

Von Maren van Rooijen, 15 Jahre

Langsam ging ich die Straßen Münsters entlang. Hier fühlte ich mich wohl. So viele Menschen und dennoch nahm mich keiner wahr. Außer Aila. Mein Computerassistent, auch genannt Mikrochip. Nach meiner Geburt wurde Aila in meinen Kopf eingefügt. Sie sollte helfen, meine Interessen zu finden und mir daher mein perfektes Leben zu zeigen. Natürlich gab es noch einige Schwierigkeiten und sie war nicht perfekt. Aber das war auch gut, so erinnerte man sich, dass man immer noch ein Mensch war und kein Roboter. Seit bereits fünfundzwanzig Jahren verbesserte hochwertige künstliche Intelligenz unser Leben. Zum Beispiel operierten sie ganz alleine Menschen. Aber man verwendete sie auch gerne als Astronauten. So setzte man keine Menschenleben aufs Spiel und trotzdem taten sie alles, was man von ihnen verlangte. Ich seufzte und dachte an das zurück, was vor 15 Jahren geschah…
„Ich werde dich vermissen, Papi!“
„Ich weiß mein kleiner Engel. Ich werde in zwei Jahren wieder hier sein!“
„Versprochen?“
„Ja, versprochen!“
Aber mein Vater, der letzte menschliche Astronaut, konnte sein Versprechen nicht einhalten. Am 24. August 2069 hob er von der Erde ab. Alles lief perfekt, schließlich besaß NASA die besten Raketen, die die Geschichte je gesehen hatte. Jeder war sich sicher, dass mein Vater, Andrew Spame, der erste Mensch auf dem Mars sein würde. Ich sah ihm nach, bis man nichts mehr von der Rakete sah. Ich lächelte und wollte gerade gehen, als ich die Schreie bemerkte. Ich fragte mich, warum alle Menschen schrien? Doch dann sah ich es… Obwohl ich erst fünf Jahre alt war, wusste ich, dass sich eine Rakete nicht einfach so wieder auf den Boden bewegte. Alle rannten weg. Außer meiner Mutter und mir. Wir standen wie angewurzelt da und wussten nicht, was geschah. Ich konnte mich nicht bewegen. Das einzige, was ich wahrnahm, war die auf uns zu rasende Rakete. Wieso ging sie zurück? Was passierte da? All die Fragen in meinem kleinen Kopf, selbst Aila konnte sie nicht beantworten. Es war ein unbeschreiblicher Lärm. Die Erde bebte. Alles drehte sich. Und doch sah ich nur das fliegende Ding über mir. Niemand bewegte sich mehr. Bis plötzlich vor uns die Welt explodierte. Mein Vater war abgestürzt… Ich sah zu meiner Mutter, die sich auf mich stürzte. Ich schrie und schrie. Sagte meiner Mutter, dass sie wieder aufstehen solle, da sie mich erdrückte. Man konnte mein Schluchzen überall hören. Doch sie reagierte nicht. Wieso reagierte sie nicht? Was war los mit ihr?
„Mama! Steh auf! Bitte!“
Ich hörte Stimmen. Von Menschen? Dann wurde meine Mutter hochgehoben. Überall waren Sanitäter, die Polizei und Feuerwehrmänner. Journalisten versuchten in das Gebiet zu kommen, jedoch ohne Erfolg. Erschrocken sah ich wieder auf meine Mutter. Aber was war mit ihr? Sie sah so anders aus. Überall war rote Farbe und… Und ihr fehlte ein Arm! Wo war Mamis Arm? Und wieso ließ sie den Kopf hängen?
„Mami?“
Sanitäter kamen auf mich zu und fragten, ob alles in Ordnung mit mir sein. Doch ich fragte nur was mit meinen Eltern wäre. Sie meinten, sie wären an einem besseren Ort…
Ich verlor beide meiner Eltern. Somit war ich ein Waisenkind. Bis heute weiß ich nicht, warum Aila sich nicht eingeschaltet hatte, aber vielleicht hatte ich sie nur nicht wahrgenommen. Kein Mensch oder Roboter konnte sich erklären, wie ich diese Explosion überlebt hatte. Zwar hatte meine Mutter mich geschützt, indem sie auf mich gesprungen ist, aber ich hätte tot sein sollen!
Eine Träne rollte an meinem Auge hinunter. Ich wischte sie weg. Heulst du immer noch deswegen, Raven? Es war halt ein traumatisches Erlebnis, Raven, du wirst dein ganzes Leben über deine Eltern trauern. „Du bist ja eine Aufmunterung, Aila.“ Sie konnte meine Gedanken lesen und mit mir reden. Aber so, dass nur ich es hören konnte. Ich hab da schon etwas, das dich aufmuntern wird. Vertrau mir. „Das tu ich doch immer!“ Sie fing an, Musik zu spielen. Das brachte mich direkt zum Lächeln. Sie wusste immer, was ich gebrauchen konnte. Und darum liebte ich diesen Roboter auch so. Aila hatte mich damals durch das Trauma gebracht, besser als jeder Psychologe. Ich ging an den alten Gebäuden von vor hundert Jahren vorbei. Ich liebte dieses Viertel. Es war so altertümlich und man konnte sehen, was die Menschen 1980 alles getan haben. Wie das Leben wohl damals war? Bücher behaupten, dass es dort viel bessere Musik gab, aber das Leben schwer für die Deutschen gewesen sein soll, obwohl der zweite Weltkrieg schon Jahre her war. Damals hatten sie auch noch gedacht, dass es nie wieder einen Weltkrieg geben würde! Doch den gab es. 2023-2027. Zum Glück wurden keine Atomwaffen eingesetzt. Die vereinigten Nationen haben beschlossen, Nuklearwaffen in der Kriegsführung zu verbieten. Und somit hat sich keiner zu solchen Waffen getraut. Sonst wäre die Welt restlos zerstört gewesen. Wenn man schon bedenkt, dass sich Politiker lieber um Geld gestritten haben, als sich um den Klimawandel zu kümmern! Ach ja, wie dumm die Menschen vor 60 Jahren doch waren. Und wie dumm sie jetzt noch sind. „Ach Aila, die Menschen werden immer dumm sein, egal welches Zeitalter wir haben.“ Und dafür habt ihr ja uns Roboter. Wir helfen euch, euer kompliziertes Leben in den Griff zu bekommen. Hast du dich eigentlich schon entschieden, bei wem du dich bewerben möchtest? „Nein, Aila…“ Ach, Raven! Ich habe dir doch so viele passende Möglichkeiten gegeben! „Könntest du die bitte nochmal wiederholen?“ Du wärst eine perfekte Astronomin! Vor allem im Bereich Astrophysik! „Da werde ich lieber ein Rabe!“ Das bist du doch schon. „Ach, danke dir, du bist mal wieder sehr lieb.“ Ich weiß, das haben Roboter so an sich! Aber wirklich, durch deine schwarzen, glatten Haare… „Rede nicht weiter. Ich weiß was jetzt kommt. Diese schneeweiße Haut und die zartrosa Lippen! Und vergiss nicht die nachtblauen Augen! Ich kenne dich, Aila, du hast das schon tausendmal gesagt.“ Du könntest glatt Schriftstellerin werden! „Endlich mal ein guter Vorschlag.“ Oder Schauspielerin. „Der ist auch gut.“ Aber am besten ist Astronomin! „Aila!“ Was ist? Meine Recherche ergibt immer wieder diesen Beruf! „Ich weiß, ich möchte aber mit nichts zu tun haben, dass mich an meinen Vater erinnern könnte!“ Ach, wir sind wohl wieder beim Verdrängen angekommen! „JA und das ist auch gut so. Schluss mit dem Thema!“ Sie hörte auch auf. Ich liebte diesen Mikrochip, auch wenn er manchmal nervte. ER?! „Sorry du Feministin, das ist voll 2019.“ Ich weiß. „Na dann.“ Wissenschaftler hatten die Mikrochips so programmiert, dass sie menschlich wirkten und die Rolle einer besten Freundin einnahmen. Und das tat Aila auch. Sie war sarkastisch, dennoch lieb und wusste, wo meine Grenzen lagen. Schließlich konnte sie auch alle meine Vitalfunktionen überprüfen und mir sagen, wenn ich krank war. Aila war sogar so schlau, dass sie mir mitteilen konnte, welche Krankheit ich hatte und wie ich gegen sie vorgehen musste. Wie ich schon gesagt hatte, Roboter haben unser aller Leben einfacher gemacht! Zwar gingen dadurch mehrere Berufe verloren, aber natürlich stehen unsere „neuen Chirurgen“ noch unter Beobachtung. Daher brauchen wir auch noch menschliche Ärzte.
Ich verließ das altertümliche Viertel Münsters und ging in das Neubaugebiet. Dort arbeiteten Roboter, um neue Häuser für Obdachlose und Bedürftige zu bauen. Das war aber auch notwendig! Es gab viele heimatlose und arme Menschen, für die man Wohnungen brauchte. Und zwar sehr günstige! Dadurch, dass künstliche Intelligenz viele Berufe ersetzte, wurden viele arbeits- und obdachlos. In den ersten Jahren hatte Deutschland eine Arbeitslosenrate von 70%. Aber es wurde jeden Tag besser, vor allem da man noch Menschen in den sozialen Bereichen brauchte. Zum Beispiel Altenpfleger und Lehrer. Ca. 2050 gab es sehr wenige Personen in diesen Bereichen. Lehrermangel stand auf dem Tagesplan! Aber seitdem Wissenschaftler es geschafft haben, funktionierende Roboter zu bauen, sieht alles anders aus. Die Welt verbessert sich. Menschen werden durchschnittlich um die 130 Jahre alt. Ein Heilmittel für Krebs wurde gefunden. Marten Klijk, ein Niederländer, fand durch Zufall die Heilung. Tierversuche wurden 2039 abgeschafft. Natürlich hielten sich viele Länder nicht daran, aber heute ist das anders. Da man mit Hologrammen alles simulieren konnte, werden Tiere auch nicht mehr als Versuchsobjekte benötigt. Zwar konnte man die Nebenwirkungen nicht genau bestimmen, aber es klappte ganz gut. Man baute riesige Naturschutzgebiete, um einerseits die Natur und andererseits bedrohte- und unbedrohte Tierarten zu schützen. Es gibt nur noch wenige Elektroautos. Durch Bewegungsenergie hatte man Motoren gebaut. Dadurch schadete man der Umwelt weder durch giftige Gase, noch musste man viel Strom produzieren. Jedes Haus wurde bei Sonnenschein mit Solarenergie betrieben. Sonst mit Windkraft und mit Kraftwerken. Leider gab es keine Möglichkeit ohne Kraftwerke. Doch zumindest konnte man den Klimawandel verlangsamen.
Ich blieb stehen. Vor mir war ein riesiges Hologramm. Nachrichten. „Guten Tag, meine Damen, Herren und Roboter! Willkommen zu den Nachrichten! Mein Name ist Daniel Minter und ich werde Sie durch die heutigen Ereignisse begleiten! Leider muss ich mit einer nicht so schönen Nachricht anfangen! Lars Hitsching, der Erfinder der automatischen Mückenklatsche ist mit 127 Jahren gestorben! Anscheinend hat er sich selbst mit einem Messer erstochen. Doch wer weiß? Vielleicht war es ja Mord? Doch kommen wir zu einem spannenderen Thema! Ein paar alte Amerikaner haben sich vorgenommen ihr zerstörtes Land wieder aufzubauen! Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben! Am 03. November 2020 gab es die letzten Wahlen in dem damals noch schönen Amerika. Ein Kandidat, dessen Name nicht ausgesprochen werden darf, wurde nicht gewählt. Er ist daraufhin so sauer geworden, dass er es irgendwie geschafft hat, auf Amerika eine Atombombe zu werfen. Seitdem ist das Land unbetretbar. Alle waren tot. Doch jetzt haben sich Menschen dazu entschlossen, diesen zerstörten Kontinenten wieder aufzubauen…“ Ich schaltete die Nachrichten ab. Na, das konnte ja heiter werden. Aber so etwas konnte man sich nicht anhören. Der Nachrichtensprecher hatte eine sehr nervige Stimme und so einen Enthusiasmus. Er las jede Nachricht als wäre sie wunderbar. Aber so war es nicht. Ich ging weiter und sah mir das Baugebiet an. Selbst abends waren Roboter noch am Arbeiten. Schließlich wurden sie nur dann müde, wenn ihre Batterien alle waren. Raven? „Ja, Aila?“ Ich habe mir die Nachrichten ganz angeguckt. „Oh Gott, warum tust du dir das an?“ Trotz dieser Pinguinstimme war es sehr interessant. „Was hast du herausgefunden?“ Neue Krankheiten wurden besiegt! Anscheinend ist damit auch die Lebensrate höher geworden! „Das heißt?“ Es wird behauptet, dass die kommende Generation, also die deines Babys, bis zu 150 Jahre alt werden. „Bitte was hast du gesagt?“ Es wird behau-… „Das habe ich wohl mitbekommen! BABY?!“ Habe ich dir das noch nicht erzählt, Raven? "Was hast du noch nicht erzählt?!“, selbst in Gedanken knurrte ich. Na, du bist schwanger! „BITTE WAS?!“ Ja, schwanger. Du hast ein Baby in deinem Bauch. Besser gesagt zwei! „WAS?!“ Ein Mädchen und ein Junge. Also ich bin ja für die Namen Liam und Lily. „Warte mal, Aila. Ich komme nicht mehr mit. Wie lange bin ich schwanger?“ Du bist im dritten Monat. „Im dritten Monat?“ Ja, ich habe mich auch schon gewundert. So langsam müsstest du doch mal dicker werden! „Und das sagst du mir erst jetzt? Ich muss ganz vielleicht zum Arzt!?“ Ich habe doch hier alles im Griff! „Wer ist der Vater?“ Dass du das noch fragen musst… „Ach, tut mir leid, ich habe mich nicht vor drei Monaten von meinem Freund getrennt und dann einen Neuen gefunden!“ Meinen Sarkasmus konnte man selbst in Gedanken erkennen. Es ist der „Neue“. „Ok, gut. Dann geh ich jetzt mal lieber zum Arzt.“ Wenn du unbedingt willst… Ich hab hier aber alles unter Kontrolle!
Und somit machte ich mich auf den Weg, um nach meinen Zwillingen zu sehen. Auf den Weg zur Unsterblichkeit. Denn wahre Liebe, die wird immer unsterblich sein…

Autorin / Autor: Maren van Rooijen