Witzig, schlagfertig, unerschütterlich und revolutionär. Das ist Izzy O‘Neil, die sich in dem Roman „Bitches Bite Back“ von Laura Stevens erfolgreich gegen einen sexistischen Shitstorm gewehrt hat und nun weiter für Gleichbehandlung kämpft.
Zwei Monate nachdem ein Nacktfoto von der 18-jährigen Izzy O‘Neil in den sozialen Medien viral gegangen ist, sind die Auswirkungen immer noch spürbar: Selbstzweifel und Wut beherrschen ihr inneres Empfinden und prägen ihr Handeln und den Umgang mit ihrer Umwelt. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Ajita und Meg verfolgt sie mit ihrem Blog Bitches Bite Back ein Ziel: Auf Missstände und Gleichberechtigung hinweisen und Hassreden im Netz Kontra geben. Doch als erneut ein Mädchen Opfer von einem Sex-Skandal wird, reicht das Forum für junge Feministinnen nicht mehr aus. Das amerikanische Gesetz muss geändert werden, um das Veröffentlichen von Rachepornos endlich strafbar zu machen. Ihr Motto: Stop Slut-Shaming!
Der Roman behandelt eine aktuelle und weitreichende Problematik des Slut-Shamings in Form von Rachepornos. Sogenannte Rachepornos sind Nacktaufnahmen oder Aufnahmen von sexuellen Handlungen, die z.B. nach der Trennung von Expartner_innen online veröffentlicht werden, um den/die Andere_n bloßzustellen und zu demütigen. Dabei werden oft auch persönliche Daten angegeben, wodurch es unter anderem auch negative Auswirkungen auf die berufliche Zukunft der Person haben kann. Wie weitreichend die Folgen einer solchen Tat sein können, zeigt das Leben von Izzy, die auch noch zwei Monate nach dem Vorfall psychisch davon gezeichnet ist.
Erst durch das Einführen von Gesetzen wurden Rachepornos in den letzten Jahren in einigen Staaten Amerikas illegal und damit strafbar. In Kalifornien wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, bei dessen Verstoß nun bis zu sechs Monate Haft und eine Geldstrafe bis 1000 Dollar (738 Euro) drohen. In Florida und Missouri sind hingegen die Gesetzesentwürfe immer wieder gescheitert. Genau dort, in Edgewood in Florida, spielt die Handlung von „Bitches Bite Back“.
Der Roman ist die Fortsetzung von „Speak up“, in dem die Autorin Laura Steven bereits über Slut-Shaming und Friend-Zoning geschrieben hat. Sie setzt sich neben ihrem Beruf als Autorin und Journalistin im Namen der NGO Mslexica für Frauen in kreativen Berufen ein.
Das Buch ist mehr als nur eine seichte Bettlektüre. Tiefgründig und emotional wird das Thema Slut-Shaming mit seinen Auswirkungen dargestellt. Gleichzeitig können der leidenschaftliche Einsatz von Izzy und ihren Freund_innen für ihr (politisches) Thema ein Vorbild für jeden Einzelnen sein. Sie stellen sich den Hürden, die oft als Ausrede genutzt werden, um nichts zu tun: Sie gehört zu einer jungen, weiblichen, ärmeren Wählerschaft und nicht zu der ausschlaggebenden Zielgruppe des führenden Senators. Ihr Thema scheint außerdem zunächst nicht prominent genug zu sein. Wie verschafft man sich als junge_r Erwachsene_r Gehör? Kann man so überhaupt etwas erreichen? Noch dazu zeigt Izzy beispielhaft, wie man stärker aus einer schrecklichen Vergangenheit herausgeht und über sich hinauswächst, auch wenn zunächst die ganze Welt gegen sie zu sein scheint. Wir sollten uns Izzy als Vorbild nehmen, wenn es darum geht durchzuhalten und auch dann nicht aufzugeben, wenn es aussichtslos erscheint – egal ob es um den Kampf für Gerechtigkeit oder den eigenen Lebensverlauf geht.
Mit der Hauptfigur hat die Autorin einen Charakter geschaffen, der passender nicht sein könnte. Izzy ist eine Teenagerin und Politaktivistin, die zunächst selbstbewusst und um kein Wort verlegen auftritt. Im Verlauf des Romans kommen dann immer mehr Selbstzweifel zum Vorschein, die eine Folge des Skandals um ihre Nacktfotos sind. Ihre innerliche Zerrissenheit spiegelt sich auch im Umgang mit ihrem Umfeld wider. Dabei wird deutlich, wie sehr Ereignisse der Vergangenheit eine Person zeichnen und verändern können. Der Sarkasmus und Witz ihrer Sprache wird immer wieder durch einfühlsame Unterhaltungen unterbrochen. Der/die Leser_in schwankt dadurch zwischen Sympathie und Identifikation mit der Hauptfigur oder aber Distanz zu ihrer ironischen und sarkastischen Art.
Sie ist keineswegs das perfekte Vorbild, das alles richtig macht. Sie ist nicht gut in der Schule, setzt andere Prioritäten, was viele als unvernünftig sehen würden. Ihr Ziel als Drehbuchautorin groß rauszukommen ist alles andere als eine sichere Zukunftsplanung. Sie überspielt Gefühle gerne mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus, um darüber hinwegzutäuschen und auch in der Beziehung zu ihren Freund_innen läuft es nicht immer rund. Trotzdem gibt sie nicht auf und entwickelt sich während des Handlungsverlaufs weiter. Was sowohl an ihrer kritischen Selbstreflektion, aber auch an der Unterstützung ihrer Freundinnen, ihres Freunds und ihrer Großmutter liegen wird.
So ernst das Thema auch ist, die Autorin versteht mit jugendlichem Sprachstil, viel Witz und Sarkasmus den Leser an die Worte der Izzy O‘Neill zu fesseln. Dabei verwendet sie nicht selten Worte der „neuen, jungen Sprache“ und Synonyme, die sonst kaum in Romanen zu finden sind (z.B. „mastiziert“ S. 106). Manche Sätze klingen fast philosophisch, sodass es sich manchmal lohnt zweimal darüber nachzudenken. Manchmal helfen auch die zahlreichen Ergänzungen in Klammern, die dem Leser meist mindestens ein Schmunzeln entlocken. Die Autorin nutzt immer wieder bewusst eingesetzte Anspielungen zum Beispiel auf Peter Pan oder Harry Potter. Oder aber auch abstrakte Vergleiche bei denen sie beispielsweise Parallelen zwischen dem Schnarchen ihrer Oma zu einer Seekuh mit Kopfgrippe zieht (vgl. S.67).
Zum Glück kann man beim Lesen keinen Zuckerschock bekommen, ansonsten würde man bei dem Konsum von „überzuckertem“ Kakao und Süßwaren sicherlich Probleme bekommen. Pastinaken gelten als „herablassendes Gemüse“ und Kartoffeln sind die „Bescheidenheits-Champions in der Gemüsearena“. In der Hinsicht geht das Buch nicht mit dem Trend der gesünderen Ernährung, was zum einen zum Charakter, aber auch zum Schauplatz Amerika passt.
In dem Roman erzählt Izzy ihr Leben in Form von Blogposts, wodurch der/die Leser_in eine zeitliche Orientierung bekommt. Auch die genauen Beschreibungen von Handlungen, Atmosphäre und Umgebung lassen den/die Leser_in mitten ins Geschehen eintauchen. Zudem erhält man Einblicke in ihre Gefühlswelt, wenn sie ihr Handeln und das anderer, mal einfühlsam, mal sarkastisch reflektiert. Neben einer ordentlichen Portion Feminismus, die das Thema mitbringt, spielen auch Zukunftsängste, Beziehungsprobleme und Eifersucht eine Rolle. Auch das Thema Verzeihen kommt auf: Wann ist das möglich und wo liegen die Grenzen? Welchen Preis ist man bereit zu zahlen?
„Biches Bite Back“ ist ein fantastisches Buch, das Leser_innen zum Nachdenken anregen kann – über sich selbst und über gesellschaftskritische Themen – und das gleichzeitig durch den humorvollen und abwechslungsreichen Schreibstil sehr unterhaltsam geschrieben ist. Ein Buch mit ganz viel Frauenpower!
*Erschienen bei Droemer HC*
Autorin / Autor: Sarah L. - Stand: 3. Januar 2021