Denkt man an Romane mit dem Thema Zwillinge, stellt man sich meist Bücher wie „Hanni und Nanni“ oder „Das doppelte Lottchen“ vor, in denen die Schwestern zueinander stehen und gemeinsam Streiche aushecken, die Eltern oder Lehrer täuschen und miteinander Spaß haben. Anders verhält es sich in Teri Terrys Roman „Book of Lies“, in welchem ebenfalls Zwillingsschwestern die Protagonistinnen sind. Doch was ist, wenn man der eigenen Schwester nicht trauen kann?
Die gemeinsame Geschichte der beiden beginnt nicht etwa im Kindesalter, sondern bei der Beerdigung ihrer Mutter, denn zu ihrem eigenen Schutz wurden sie nach der Geburt voneinander getrennt. Dort treffen Quinn, die bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, und Piper, die ihre Kindheit mit Mutter und Vater verbracht hat, erstmals aufeinander und erkennen die eigenen Gesichtszüge in der Anderen wieder. Mit diesem folgenschweren Kontakt beginnt die Geschichte der, nun unzertrennlichen, Schwestern. Sie versuchen herauszufinden, aus welchem Grund sie nicht zusammenbleiben durften – ein Weg, der mit Konflikten gespickt ist, denn die Erziehung und Moral Quinns und Pipers sind konträr.
Piper ist ein Leben in Luxus gewohnt und erfreut sich großer Beliebtheit, während Quinn vor allem Strenge und Isolation kennt. Nach und nach wird deutlich, dass die Großmutter schon früh von einer Gefahr wusste, die die eine für die andere Schwester darstellt. Doch welche ist die „Gute“, welche die „Böse“? Wem kann man in dem Lügengerüst, das das Leben der Protagonistinnen zu sein scheint, noch trauen?
Die Autorin der „Gelöscht“-Trilogie entscheidet sich, ihren Roman von beiden Schwestern abwechselnd erzählen zu lassen, wovon er meines Erachtens profitiert, da so beide Sicht- und Denkweisen der optisch identischen, aber innerlich unterschiedlichen Mädchen aufgezeigt und geteilt werden. Auch fesselt dies den Leser, der sich zwei Protagonistinnen und Erzählerinnen gegenübersieht, denen er nicht trauen kann – nicht trauen darf. Teri Terry gelingt es somit meisterhaft, zusätzlich zu dem sich entwickelnden Konflikt Spannung aufzubauen. Das Ende hat mir sehr gefallen, besonders, da sich das Verhältnis Quinns und Pipers, das sich wie ein roter Faden durch den Roman zog, letztlich als das erweist, was es ist: Geschwisterliebe.
Leider nimmt das Buch für mich persönlich zu spät Fahrt auf, sodass die ersten hundert Seiten eher zäh als flüssig auf mich wirkten, was die Leselust etwas dämpfte. Auch unterscheiden sich die Zwillinge (vermutlich gewollt) anfangs kaum, was mir das Gefühl gab, die Rahmenbedingungen des bisherigen Lebens der Mädchen hätten sich nicht auf ihren Charakter und ihre Sicht auf die Situation ausgewirkt – was angesichts der abgeschotteten Jugend Quinns und der elitären Familie Pipers unverständlich ist. Ein weiterer, sehr subjektiver Punkt, der das Buch in meinen Augen anstrengend macht, ist die Art der Zwillinge, die mir größtenteils beide unsympathisch waren. Auf mich wirkten sie stellenweise sehr fordernd und auch „quengelig“, was zweifelsohne ihrer schweren Lage geschuldet ist, dauerhaft jedoch viel Geduld mit ihnen als Buchcharaktere erfordert.
Insgesamt war das Buch jedoch jede investierte Minute wert und ich werde es in jedem Fall noch einige weitere Male lesen. Wärmstens empfehlen kann ich es Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an einer neuen und spannenden Version der Zwillingsgeschichten interessiert sind und die bereit sind, sich auf ein Werk einzulassen, in dem nichts ist, wie es scheint.
*Erschienen bei Carlsen*