City of Trees
Autorin: Chantal-Fleur Sandjon und Carla Nagel
„City of trees“ von Chantal-Fleur Sandjon erzählt großteils in Versform die etwas rätselhafte Geschichte um die sechzehnjährige Lindiwe, deren Schwester vor einigen Jahren verschwunden ist und die nun selbst merkwürdige Veränderungen an sich bemerkt.
Lindiwes große Schwester Khanyi ist vor mehreren Jahren spurlos verschwunden. Gerade weil in der Familie nicht darüber gesprochen wird, hinterlässt sie noch immer eine große Leere. Nun spürt Lindiwe selbst eine Veränderung: Zunehmend fühlt sie sich zu Bäumen hingezogen, fast zwanghaft muss sie ständig in den Wald laufen.
Dann kommen Lindiwes Großmutter und Cousine aus Südafrika zu Besuch. Gemeinsam mit ihrer Cousine kommt Lindiwe dem Verschwinden Khanyis immer näher. Gleichzeitig entsteht ein gewisses Kribbeln zwischen den beiden.
Die Geschichte dreht sich um eine afrodeutsche Familie in der heutigen Zeit, in der verschiedene religiöse und geschlechtliche Identitäten vertreten sind.
Laut Klappentext hat sich die Autorin von afrikanischer Mythologie inspirieren lassen. Ich konnte zwar keine genau zutreffende Sage finden, erkenne aber Parallelen zu den Mythen, die sich um den Baum „Kondanamwali“ in Sambia ranken.
Ein wenig können wir in schwarze und queere Lebenswelten in Deutschland eintauchen sowie in religiöse und kulturelle Vielfalt, aber auch Zerrissenheit.
Gerade Lindiwe ist gleich mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt: Sie ist schwarz, hat die Weißfleckenkrankheit und ist pansexuell. Ich denke, dass sie oft das Gefühl hat, nicht richtig dazuzugehören, weder in Deutschland noch in Südafrika. Nur im Wald ist sie ein Individuum unter vielen.
Ein großer Pluspunkt für mich ist, dass Vielfalt in diesem Buch wirklich großgeschrieben wird. Es sind sämtliche Hautfarben, geschlechtliche Identitäten und Beziehungsmodelle vertreten. Weiter hinten wird ganz beiläufig erwähnt, dass ein kleiner Bruder Hörgeräte trägt, wodurch die Normalität dessen gekennzeichnet wird.
Auch die originelle Idee, schon lange bestehende afrikanische Mythen ins heutige Europa zu holen, hat mir gut gefallen. Allerdings fand ich die Umsetzung leider weniger gelungen.
Von Seite eins an empfand ich den Schreibstil als sehr ungewohnt. Etwa die Hälfte des Buches ist in Versform verfasst und dadurch nicht immer leicht lesbar.
Auch die Kapitel im Fließtext sind sehr bildreich. Leider ging das so weit, dass für mich Metaphern und tatsächliche Geschehnisse anfangs nicht immer auseinanderzuhalten waren.
Bis zur Hälfte des Buches fand ich die Handlungsstränge und Darstellungsformen schwer in Einklang zu bringen. Außerdem wurde viel Spannungspotential verschenkt. Als es zu einer Kampfszene kam, wurde diese in einem Satz abgetan und nur der Ausgang geschildert.
In der zweiten Hälfte des Buches war ich dann doch froh, dass es ein paar unerwartete Wendungen gab und noch einiges aufgelöst wurde. Aber sobald etwas Spannung aufkam, wechselte die Erzählerin wieder in die Versform und die Spannung brach abrupt ab.
Schwierig fand ich, dass Selbstverletzungen teilweise poetisch beschrieben wurden. Selbstverletzungen so zu verklären, verharmlost und beschönigt unnötig.
Das Buch ist bestimmt keine Spannungslektüre, was an sich kein Problem ist, wäre es denn schön atmosphärisch geschrieben. Aber leider kam beim Lesen keine Wohlfühlatmosphäre auf, und eigentlich auch keine andere. Die großen Veränderungen werden von relativ wenigen Emotionen begleitet. Hinzu kommt der etwas zähe Schreibstil.
Ich vermute, dass das Buch sich nicht an gängigen Genres orientieren, sondern etwas ganz Neues, Künstlerisches erschaffen wollte. Das ist der Autorin bereits gelungen: Für ihren ersten Versroman „Die Sonne, so strahlend und schwarz“ wurde sie sogar mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Im aktuellen Buch fand ich die Umsetzung dennoch teilweise nicht ganz stimmig.
Erschienen bei Thienemann
Autorin / Autor: Claudia B. - Stand: 9. Juli 2024