Autorin: V. E. Schwab
Übersetzt von: Petra Huber, Sara Riffel
Addie weiß, wie ihr Leben nicht werden soll. Heirat, Kinder, für immer am gleichen Ort gefangen sein – ein Leben, das ihre Zeit für eine Frau vor sieht. Wie weit sie jedoch bereit ist zu gehen, um diesem Leben zu entkommen, war ihr nicht klar. Sie weiß, dass sie nicht zu allen Göttern beten darf, nicht zu jenen, die nur in der Nacht antworten. Götter, die bei den meisten bereits in Vergessenheit geraten sind, doch die ihr näher sind als anderen.
Doch obwohl sie weiß, dass sie nicht zu diesen Göttern beten darf, sind es die einzigen, die ihr im Jahre 1714 noch helfen können, der Ehe und dem damit verbundenen Leben zu entkommen. Dafür muss sie sich jedoch auf nichts Geringeres einlassen als auf einen Teufelspakt. Und jeder weiß, dass ein solcher Pakt immer seinen Preis hat.
"Die alten Götter mögen groß sein, aber sie sind weder freundlich noch barmherzig, sondern launisch und unbeständig wie Mondlicht auf Wasser oder wie Schatten in einem Sturm. Wenn du sie anrufen willst, gib acht: Überlege genau, worum du bittest, und sei bereit, den Preis zu zahlen. Und ganz gleich, wie verzweifelt du bist, bete niemals zu den Göttern, die nach Einbruch der Nacht antworten."
Ein Preis, der sie zu einer Frau macht, an die sich niemand erinnern kann. Ganz gleich, was sie auch tut, gelingt es den Menschen nicht, sich an sie zu erinnern. Am nächsten Tag ist es stets, als stünden sie einer Fremden gegenüber. 300 Jahre durchlebt sie in diesem Zustand.
Doch sind es nicht nur die Nachteile des Vergessens, die sie ertragen muss und die ihr Bindungen und Zugehörigkeit verwehrt. Im Laufe der Zeit hat sie auch gelernt, die Vorteile des Vergessens für sich zu nutzen. Denn kaum betritt sie eine Umkleidekabine, haben die Verkäufer:innen bereits wieder vergessen, dass sie sich im Laden befunden hat. Ein Umstand, der ihr regelmäßig zu neuer Kleidung verhilft, ohne, dass sie arbeiten muss. Doch was geschieht, wenn Addie nach all diesen Jahrhunderten plötzlich auf einen Mann trifft, der sich an sie erinnern kann?
"Ein Mädchen rennt um ihr Leben. Die Sommerluft brennt auf ihrem Rücken, aber da sind keine Fackeln, keine wütende Meute, nur die fernen Laternen der Hochzeitsfeier, das rötliche Glühen der Sonne, die gegen den Horizont stößt, aufbricht und sich über die Hügel ergießt. Das Mädchen rennt und ihre Röcke verfangen sich im Gras, während sie auf den Wald zustürmt, im Wettlauf mit dem sterbenden Licht."
'Das unsichtbare Leben der Addie LaRue' erzählt die Geschichte einer Frau, die für ein selbstbestimmtes Leben bereit ist, zum Äußersten zu gehen. Doch der Preis für diese Selbstbestimmung ist ein anderer als der, den sie sich vorgestellt hatte. Während Addie keine Erinnerung sein kann, wird sie zu Inspiration. Sie geht in Gedichte, Musikstücke, Bilder und andere Kunstwerke ein, ohne dass sich die Künstler:innen daran erinnern können, sie je gesehen zu haben. Und doch gelingt es ihr so, Spuren zu hinterlassen auf dieser Welt und in den Jahrzehnten, in denen sie gelebt hat. So durchlebt sie die Jahre und gewöhnt sich an die Regeln, an die ihr Pakt sie bindet. Bis zu dem Tag, an dem sie einem jungen Mann begegnet, der die Regeln ihres Paktes vollständig auf den Kopf stellt.
»Die Marktstände kauern wie eine Gruppe alter Weiber am Rand des Parks. Vom Winter lange Zeit ausgedünnt, nimmt die Zahl der weißen Planen endlich wieder zu, Farbtupfer sprenkeln den Platz, wo neue Waren zwischen dem Wurzelgemüse, dem Fleisch und dem Brot aufgetaucht sind.«
Kunstvoll verwebt V. E. Schwab in 'Das unsichtbare Leben der Addie LaRue' mehrere Zeitebenen miteinander. Sie entführt uns in Addie Kindheit und Jugend im Jahre 1714 und lässt die Lesenden sie bis hinein in die Gegenwart begleiten. Eine Tragik begleitet Addies Schicksal, die sich vor einer Hochzeit zu retten versucht und damit Ereignisse in Gang setzt, die außerhalb ihrer Vorstellungskraft liegen. Poetisch, gefühlvoll und mitreißend.
*Erschienen bei FISCHER Tor*
Autorin / Autor: Libertine - Stand: 20. August 2021