Ihrem wachsamen Auge entgeht nichts. Rund um die Uhr werde ich von ihr überwacht. Privatsphäre? Fehlanzeige. Jede meiner Bewegungen nimmt sie ganz genau wahr, kommentiert sie und egal, was ich auch tue, es ist in ihren Augen falsch.
Immer kritisiert sie mich und ich muss mir anhören, was ich zu tun oder zu lassen habe. Es scheint fast so, als wüsste sie am besten, was mir guttut oder was mir schadet. Als könnte sie besser über mein Empfinden und mein Leben entscheiden als ich. Nur eines bemerkt sie nicht: Nämlich, dass diese ganze Fremdbestimmung mich langsam aber sicher krankmacht.
Entscheidungen nicht mehr selbst treffen zu müssen, sie abgeben zu können, das klingt im ersten Moment sehr verlockend. Wenn man sich doch das Leben erleichtern kann, wieso auch nicht? Hat man plötzlich jedoch keinen Einfluss mehr darauf, was man selbst entscheidet und was für einen entschieden wird, dann ist dieser Kontrollverlust beängstigend und geht mit dem Gefühl der Machtlosigkeit einher. Wie lange hat man als Kind hart dafür gekämpft, ein Mitspracherecht zu haben, ernst genommen zu werden und selbstständig zu sein? Wie mühselig und zeitintensiv war es, bis wir endlich ohne Stützräder Fahrrad fahren konnten? Wie oft haben wir uns die Knie blutig gefallen, bis es endlich funktionierte und wie stolz waren wir darauf? Weshalb geben wir diesen Fortschritt jetzt so bereitwillig wieder auf? Wieso entziehen wir uns der Eigenverantwortung und steigen vom Fahrrad wieder auf ein Laufrad um? Warum lassen wir diesen Fremddeterminismus, der sich über alle Lebensbereiche ausbreitet und auch die heiligen Grenzen der Privatsphäre nicht achtet, überhaupt zu?
Da liegt man beispielsweise einmal gemütlich mit einer Tafel Schokolade auf der Couch und entspannt sich und schon bekommt man vorgehalten, dass man gerade zu viele Kalorien zu sich nehme, man dagegen den ganzen Tag noch keinen Sport gemacht habe und man außerdem schleunigst ins Bett gehen solle, um zu verhindern, dass auch noch der natürliche Schlafrhythmus aus dem Gleichgewicht kommt. Richtig, so macht das Leben doch gleich viel mehr Spaß und auch die Schokolade schmeckt schlagartig um einiges besser.
Aber was hat sie denn für ein Recht in mein Leben einzugreifen, mich zu kritisieren oder gar über mich zu bestimmen? Gar keines! Aber was soll ich denn gegen ihren Einfluss tun? Es ist quasi unmöglich, sich ihrer Macht zu entziehen. Sie gehört ja schließlich doch irgendwo zu mir und zu meinem Leben dazu und will mir doch eigentlich auch nie was Schlechtes - im Gegenteil. Sie versucht immer zu helfen, wie und wo sie nur kann, doch manchmal ist diese Hilfe eben eher hinderlich als nützlich. Schließlich kann ich doch wohl selbst am besten entscheiden, was gut für mich ist.
Nicht selten wünsche ich mir aus diesem Grund einen Ausschaltknopf, einen Notausschalter. Eine einzige Fingerbewegung, ein einfacher Knopfdruck würde ausreichen, um sie zum Schweigen zu bringen. Nicht für immer, aber wenigstens für den Moment.
Nur leider ist das nicht so einfach. Bedauerlicherweise gibt es für Menschen nämlich keinen Ausschaltknopf und für meine Mutter noch nicht einmal einen Energiespar- oder Standby-Modus.
Ironischerweise ist es natürlich auch gerade meine Helikoptermutter, die mich gefühlt täglich vor dem schändlichen Einfluss Künstlicher Intelligenzen und Smartphone Assistenten warnt. Diese würden mich nämlich ständig überwachen und versuchen, mir wichtige Daten zu stehlen oder in mein Leben einzugreifen, was ich mir nicht gefallen lassen dürfe. Schließlich grenze eine derartige Beobachtung meine Freiheit ein und verhindere die individuelle Persönlichkeitsentfaltung. Hahaha.
Also wenn dem so wäre, dann müsste sich meine Mutter mit sämtlichen Künstlichen Intelligenzen ja blendend verstehen … gleich und gleich gesellt sich gern, so sagt man doch. Aber nun ja, in diesem Fall dann wohl doch nicht. Wahrscheinlich ist meine fürsorgliche Mutter einfach nur neidisch, nicht der einzige Fixpunkt in meinem Leben zu sein. Doch um meine Sonne kreisen eben noch andere Planeten – und nicht nur Planet-Mama.
Die tiefste Abneigung hegt sie gegen Habla. Es sei ihr unbegreiflich, wie ich mit so einem abscheulichen Ding sympathisieren könne. Sympathie – das setze doch Emotionen voraus, Gefühle, Liebe, Leidenschaft! Zu alldem sei dieser „have a better life assistant“, auch Habla genannt, doch gar nicht fähig. Sympathie verlange Menschlichkeit, Mitgefühl und Anteilnahme und diese Eigenschaften blieben ja bekanntlich allein uns Menschen vorbehalten.
Aber ist dem wirklich so? Kann man das so pauschal sagen? Für mich steht jedenfalls fest: Auch Habla kritisiert mich wegen meines großen Hungers, meiner Faulheit und meines Schlafmangels. Aber im Gegensatz zu meiner Mutter ist Habla nicht dazu in der Lage, mir aktiv die Chipstüte aus den Händen zu reißen – sie kann mich lediglich auf meinen erhöhten Konsum hinweisen und mir somit ein schlechtes Gewissen bereiten. Diesbezüglich scheint mir die Künstliche Intelligenz doch fast menschlicher zu sein als meine Mutter. Außerdem hat Habla einen weiteren, äußerst wichtigen Vorteil: Sie besitzt diesen Ausschaltknopf, den ich bei meiner Mutter so schmerzlich vermisse!