Der Mann als Standard-Mensch?

US-Studie: Eltern tragen durch ihre Sprache zu geschlechtsspezifischer Sicht bei

Ein jahrzehntealtes Rätsel stellt die folgende Situation dar: Ein Junge wird bei einem Autounfall verletzt, bei dem der Vater stirbt, und wird in die Notaufnahme gebracht, wo der Arzt (the doctor) sagt: „Ich kann ihn nicht operieren - er ist mein Sohn.“ Wer ist dann der Doktor? Kommt jemand drauf?

Es ist die Mutter.

Es liegt eigentlich auf der Hand, aber die Lösung fällt trotzdem vielen nicht ein, denn ein Standard-Arzt ist in den Köpfen vieler Menschen selbstverständlich ein Mann.

Die Forschung hat schon häufiger gezeigt, dass Erwachsene instinktiv an Männer denken, wenn sie gebeten werden, an eine Person zu denken - sie beschreiben die „typischste“ Person, die sie sich vorstellen können als männlich. Auch Märchenfiguren ohne ein bestimmtes Geschlecht werden von ihnen als Männer wahrgenommen. Der Standard-Mensch ist in der Vorstellung also häufig ein Mann, wer im Internet nach "people" sucht, kriegt demenstprechend auch mehr Bilder von Männern angezeigt als von Frauen. Diese Sichtweise entseht oft schon von Kindheit an und wird auch durch die Sprache der Eltern beeinflusst, wie eine neue Studie von Psycholog:innen zeigt.

Rachel Leshin von der der New York University und ihr Team haben in einer Studie untersucht, welche Vorstellungen geschlechtsspezifische Begriffe wie "girl" (Mädchen) oder geschlechtsneutrale Ausdrücke wie "kids" (Kinder) oder "people" (Leute) bei Eltern hervorrufen. In einem Experiment sollten die Teilnehmenden, mehrheitlich Mütter, sich Bildunterschriften zu Fotos ausdenken, auf denen Kinder auf einem Spielplatz spielten und den Text ihren Kindern vorlesen. In diesem Experiment verwendeten die Eltern bei der Beschreibung von Jungen eher geschlechtsneutrale Bezeichnungen als bei Mädchen (z. B. „Das Kind rutscht“). Umgekehrt verwendeten die Eltern eher geschlechtsspezifische Bezeichnungen, wenn sie Mädchen im Vergleich zu Jungen beschrieben (z. B. „Dieses Mädchen schaukelt“).

In einem zweiten Experiment mit 200 Eltern-Kind-Paaren, nahmen die Eltern an einer Bilderbuch-Leseaufgabe teil. Das Bilderbuch bestand aus Seiten, auf denen eine Figur abgebildet war, die ein bestimmtes geschlechtsspezifisches Verhalten zeigte, z. B. das Graben nach Würmern (stereotypisch für Jungen) oder das Lackieren der Fingernägel (stereotypisch für Mädchen). Auf manchen Bildern gruben die Jungs nach Würmern und die Mädchen lackierten sich die Fingernägel, auf anderen war es umgekehrt: ein Junge, der sich die Nägel lackiert, ein Mädchen, das nach Würmern gräbt.

Im Gespräch über die Bilder verwendeten die Eltern mehr geschlechtsneutrale Bezeichnungen, wenn sie über Jungen sprachen, die sich vermeintlich "typisch" verhielten. So sprachen sie von einem Kind, das nach Würmern gräbt, aber von einem Mädchen, das sich die Nägel lackiert. Ein Mädchen wurde erst dann häufiger als "Kind" bezeichnet, wenn es ein vermeintlich jungenhaftes Verhalten zeigte. Ein Junge, der sich die Nägel lackiert, wurde hingegen seltener als Kind bezeichnet, sondern eher als Junge. Der Ausdruck Kind (kid) scheint also für ein Kind zu stehen, das sich stereotyp männlich verhält.

Die Forscherin Leshin sieht darin eine "bemerkenswerte Voreingenommenheit in der Art und Weise, wie Eltern das Geschlecht sehen und signalisieren, dass eine 'Person' standardmäßig männlich ist“.

Die Ergebnisse wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.

Quelle

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 18. Märze 2025