Die Abwesenheit von Kunst und Musik
Studie: Kulturelle Bildung ist eine Frage der Schulform
Gehört ihr zu den Glücklichen, die an ihrer Schule regelmäßig Kunst-, Literatur- und Musikunterricht haben - oder sogar eine Theater-AG? Dann zählt ihr zu den Ausnahmen, denn wie eine bundesweite repräsentative Befragung unter Schüler_innen aus 9. und 10. Klassen unter dem Titel „Jugend/Kunst/Erfahrung. Horizont 2015“ ergeben hat, fällt der Kunstunterricht bei 33 Prozent der Befragten ihrer Wahrnehmung nach mehr als selten, zum Teil sogar häufig aus. Hinzu kommen 17 Prozent, die derzeit überhaupt keinen Kunstunterricht erhalten. Damit hat die Hälfte der Neunt- und Zehnt-Klässler_innen keinen regelmäßigen Kunst- und Musikunterricht. Das für die künstlerische Erziehung niederschmetternde Ergebnis, die das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) in einer Befragung auf Initiative des Rates für Kulturelle Bildung herausfand, bekommt noch eine deprimierende Note dadurch, dass auch große Unterschiede zwischen Gymnasien und anderen Schulformen ans Licht kamen: Wer auf ein Gymnasium geht, hat mit um 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit Literatur, klassische Musik oder Theater im Unterricht. Auch führen Gymnasien ihre Schüler_innen deutlich häufiger in außerschulische Kulturveranstaltungen. Und von 14 im Interview abgefragten kulturellen Nachmittagsangeboten gibt es laut den Befragten im Schnitt 5,9 an den Gymnasien und nur 3,8 an Sekundarschulen. Während an den Sekundarschulen 54 Prozent keinen regelmäßigen Kunstunterricht haben, sind an den Gymnasien 'nur' 43 Prozent von der Abwesenheit künstlerischer Bildung betroffen (für die Musik lauten die Werte 55 Prozent an Sekundarschulen versus 41 Prozent an Gymnasien).
Wer nicht auf ein Gymnasium oder eine Gesamtschule geht und zusätzlich nicht aus einem Elternhaus kommt, in dem mindestens ein Elternteil studiert hat, also zu den sogenannten bildungsfernen Jugendlichen gehört, hat bis zum Ende der Pflichtschulzeit im Schnitt erheblich weniger Zugänge zu Kultureller Bildung als Akademikerkinder, so die Ergebnisse der Studie. Denn während Akademikereltern zu 74 Prozent die kulturelle Lücke noch mit eigenen Angeboten an ihre Kinder, wie Musikunterricht, Theaterbesuche etc. füllen können, gaben nur 33 Prozent der Schüler_innen aus Elternhäusern mit höchstens mittlerem Schulabschluss an, dass sie von ihren Eltern an Kultur herangeführt würden.
Ein Drittel der Kinder wird nicht für Kultur gewonnen
Prof. Dr. Eckart Liebau, Vorsitzender des Rates für Kulturelle Bildung, zu den Befunden: „Wir haben es mit großen Unterschieden zwischen den Schulformen zu tun, mit kulturellen Bildungsverläufen, die kaum durchbrochen werden können, mit Schulen, die ein Drittel der Kinder gar nicht für Kultur gewinnen, und wir finden in einem Ausmaß tradierte Rollenbilder, wie wir es nicht mehr erwartet hatten. Dass Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern den künstlerischen Vorsprung ihrer Altersgenossen in der Schule aufholen könnten, lassen die Daten nicht erkennen. Der Schwerpunkt der Schulentwicklung liegt bisher nicht in diesen Fächern, eher im Gegenteil. Der bildungspolitische Aufbruch nach dem PISA-Schock hat den künstlerischen Fächern und Angeboten
in den Schulen eher geschadet. Wir fordern deshalb mit Nachdruck zum bildungs- und kulturpolitischen Handeln auf: Es darf nicht dabei bleiben, dass im Schulwesen ausgerechnet den benachteiligten Kindern und Jugendlichen das quantitativ schwächste Angebot Kultureller Bildung gemacht wird. Hier ist ein Ausbau vor allem in den Sekundarschulen dringend erforderlich.“
Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen Kulturinteresse und allgemeinem Bildungsinteresse der Schüler_innen: Wer aus Familien mit kulturinteressiertem Klima kommt, hat laut der Befragung auch mehr andere Lieblingsfächer: Fremdsprachen +40 Prozentpunkte, Deutsch +36, Geschichte +23, Biologie und Sozialkunde jeweils +18. Auch Chemie, Mathematik und Physik geben sie im Vergleich zu Jugendlichen aus nicht kulturinteressierten Elternhäusern häufiger als Lieblingsfach an, die Abstände sind hier aber nicht so stark (+8; +7; +4).
Interesse an Kunst und Kultur hat offensichtlich auch einen geschlechtsspezifischen Hintergrund. Während 69 Prozent der Mädchen angaben, sie fänden es wichtig, Grundwissen über Kultur zu haben, taten dies nur 48 Prozent der Jungen. So verwundert es nicht, dass Mädchen sich außerhalb der Schule auch öfter künstlerisch betätigen. Im Schnitt gehen Mädchen drei kulturellen Aktivitäten wie Musizieren, Malen, Tanzen oder Theaterspielen zumindest ab und zu nach, bei den Jungen sind es dagegen nur zwei.
Prof. Dr. Eckart Liebau dazu: „So schön das höhere Kulturinteresse der Mädchen ist, es darf nicht dabei bleiben, dass die unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Angebote deutlicher weniger Jungen erreichen. Hier geht es um die Verbesserung und Passgenauigkeit der inhaltlichen Qualität.“
*Über die Umfrage*
„Jugend/Kunst/Erfahrung. Horizont 2015“ ist eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), die auf der Initiative und Konzeption des Beratungsgremiums Rat für Kulturelle Bildung basiert. Beauftragt und getragen wurde die Studie durch den Stiftungsverbund Rat für Kulturelle Bildung e.V. und gefördert durch die Stiftung Mercator. Die Repräsentativbefragung wurde Ende März 2015 vom IfD in Form mündlich persönlicher Interviews durchgeführt. Die Stichprobe umfasste 532 Schüler_innen der 9. und 10. Klasse allgemeinbildender Schulen bundesweit. Die strukturelle Zusammensetzung der
Stichprobe entspricht nach Geschlecht, Schulart und Klassenstufen den Daten der Grundgesamtheit aus der amtlichen Statistik. Diese Übereinstimmung ist Voraussetzung dafür, dass die Ergebnisse verallgemeinert werden dürfen. Ergänzt wurde die Studie um repräsentative Ergebnisse einer parallelen IfD-Bevölkerungsumfrage.
Stichworte
Schule und Kunst Kulturelle Bildung
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 28. Aigust 2015