Die Geschichte der Schrift
Woher kommt eigentlich eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit, eine Technik zur Wiedergabe und Archivierung von Wissen?
Seit es Menschen gibt, benutzen diese zahlreiche Methoden, um Botschaften zu übermitteln, seien es Zeichnungen, Zeichen oder Bilder. Man denkt an die Höhlenmalereien, die bis in die ältere Steinzeit zurückreichen. Die Schrift ist somit eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit, eine Technik zur Wiedergabe und Archivierung von Wissen. Am Anfang waren es nur Bildersymbole, Striche und Punkte, die bis zu den heutigen Schriften weiterentwickelt wurden.
Die Konsequenzen hieraus veränderten die Welt. Ohne die Schrift wäre es nicht möglich gewesen, menschliche Erfahrungen über die Lebenszeit eines Menschen hinaus weiterzugeben. Doch mit Hilfe einfacher Zeichen auf Ton, Stein, Metall oder Papier konnte das menschliche Gedächtnis fast unbegrenzt fortbestehen.
*Kann ich es schriftlich haben?*
Die ersten großflächigen Bilder der Menschen, die wir kennen, sind prähistorische Höhlenmalereien; entstanden 30’000 Jahre vor Christus. Es ist auch ziemlich wahrscheinlich, dass sie nicht nur einen ästhetischen Zweck erfüllten, sondern Besitzstände und Machtverhältnisse ihrer Zeit widerspiegelten. Die Erfindung der Schrift basiert also offensichtlich auf rechnerisch-buchhalterischen Überlegungen zur gezielten und praktikablen Organisation und Wahrung von Macht und Besitz. Das belegen die Anfänge der Schrift in Mesopotamien (dem heutigen Irak). Dort beginnt ihre Geschichte mit Aufstellungen über Einnahmen und Ausgaben.
*Von Bildzeichen zur Hieroglyphe*
Mit den frühesten Handelsbeziehungen und der Gründung der ersten größeren Staatsgebilde entstand auch das Bedürfnis nach einer vereinfachten und verbindlich festgelegten Schrift. Einen ersten Schritt dazu bildeten die Piktogramme (Wortbildzeichen), d.h. abstrahierte, vereinfachte Bilddarstellungen. Gute Beispiele dazu sind die Bildzeichen der ägyptischen Hieroglyphenschrift, die vor 5000 Jahren entstanden ist, sowie die sumerische Keilschrift. Auch die chinesische und japanische Schrift bedient sich des Systems der Piktogramme; diese sind im Unterschied zu unserem heutigen Alphabet bis heute erhalten geblieben. Astrologische Symbole und leicht verständliche Signete, wie z.B. der Totenkopf als Symbol für «Gift», bilden auch heute noch einen aus unserem täglichen Leben nicht wegzudenkenden Bestand an Piktogrammen.
*Die Welt lässt sich nicht mehr bildlich darstellen*
Mit der Zeit ließ sich die Welt dann auch nicht mehr bildlich darstellen: Es wurde eine abstraktere Form des Schreibens benötigt. In Ägypten erfuhren daher die Hieroglyphen eine Verknüpfung mit Lauten. (Für gleichlautende Wörter unterschiedlicher Bedeutung wie «der Arm» und «arm» wird dasselbe Wortzeichen verwendet.) Das Schriftsytem war so erfolgreich, dass es während 3000 Jahren unverändert blieb. Parallel dazu entwickelte sich um ca. 2000 vor Christus die hieratische Schrift; eine Kursivschrift.
*Und dann kam das Alphabet*
Mit der Entstehung der Astrologie und der Philosophie verlangte die Welt nach mehr Erklärung. Im Jahr 1500 vor Christus kam es in Ugarit an der syrischen Küste beim Volk der Phönizier zu einer Verschmelzung mehrerer regionaler Schriftarten, die zu einer Revolution des Schriftbildungsprozesses führte: zur Erfindung des Alphabets. Dieses bestand aus 22 Zeichen und zwar vorerst ausschliesslich aus Konsonanten. Die Vokale der Wörter mussten vom Sprecher oder Leser ergänzt werden. Das heutige arabische Alphabet besteht nach wie vor nur aus Konsonanten, und zwar aus 28. Das proto-semitische bildete dann den Ursprung für das phönizische und somit für die europäischen Alphabete. Die arabischen, hebräischen, griechischen, lateinischen und kyrillischen Schriftsätze stammen aus dem phönizischen Alphabet.
Streng genommen war die Erfindung des Alphabets keine Erfindung im eigentlichen Sinne, sondern die folgerichtige und fast zwangsläufige Weiterentwicklung der Schrift, die sich aus den gestiegenen Bedürfnissen ergab.
*Wortzeichen-Schriften in Asien*
Beherrscht der Mensch erst einmal das komplexe System einer Alphabetsprache, ist er nicht länger auf die enorme Gedächtnisleistung angewiesen, die er aufbringen muss, wenn er etwa gut 800 Keilschriftzeichen oder viele tausend chinesische Schriftzeichen auswendig lernen muss. Denn im Gegensatz zu den Alphabet-Schriften sind etwa die chinesischen und die japanischen Schriften Zeichen-Schriften, bei denen die Abstraktion vom Zeichen zum Laut nicht weiter stattgefunden hat und weiterhin jedem Wort ein eigenständiges Zeichen zugeordnet wird!
*Quelle: scriptura 2008, Chefredaktion: Anne Gorgerat Kall*
Autorin / Autor:
scriptura 2008, Chefredkation: Anne Gorgerat Kall - Stand: 4. Oktober 2013