Londoner Pferderennen, Wiener Kaffeehäuser und türkische Hamams, von London bis in die  Türkei und wieder zurück, Paula Bellheim lädt ein zu einer Reise quer durch das Europa des 18. Jahrhunderts an der Seite von Lady Mary Montagu. Die Impfpionierin.“ Mary, die adeliger Abstammung ist, stellt sich gegen ihren Vater und die gesellschaftlichen  Konventionen ihrer Zeit, heiratet aus Liebe und folgt ihrem Ehemann Edward ins Land der Osmanen. Dort lässt sie sich eines Besseren belehren, stößt auf eine Kur gegen die Pocken, die  sie selbst überlebte, und fasst sogar den Mut, ihren eigenen Sohn zu inokulieren ("animpfen"). Zurück in ihrer  Heimat setzt sie als selbstbestimmte Frau ihren Krampf gegen die Pocken fort, scheut sich dabei nicht, die alten, konservativen Methoden der Medizin zu verachten und verschont so Tausende Menschen vor dem Tod. Alles mit einem einzigen Ziel: das Leid aus der Welt zu schaffen. Nun, wer mag wohl recht behalten? Der Sinnesmensch, der behaupte, Lady Mary Montagus Leben drehte sich um die freie Liebe oder der Geistesmensch, der behaupte, es liege ihr viel mehr an ihrer Pionierleistung in der Medizin? Eines steht jedenfalls fest: alle beide werden von Lady Mary Montagus Schönheit und Geist verzaubert sein. Auch von der Schriftstellerin Paula Bellheim werden sie verzaubert sein, denn gekonnt gibt sie die Gespräche zwischen Mary und ihrer Enkeltochter Luise wieder und verleiht somit der Erzählung eine gewisse Lebhaftigkeit. Es ist zudem die Feinfühligkeit und zugleich Natürlichkeit, mit der sie die verschiedensten Belange und Sorgen der damaligen Gesellschaft schildert, die ihren Debütroman so lesenswert machen. Hoffentlich schreibt Paula Bellheim noch über viele andere Ladys, und auch Sirs, die mit ihren Errungenschaften zum Fortschritt der Menschheit beigetragen haben.

Am meisten haben mich jedoch die Briefe berührt, die Lady Mary Montagu während ihrer Reise verfasste und in denen sie Freunden und Verwandten von ihren Eindrücken und Erlebnissen berichtete. Dort kommen ihre charmante und weltoffene Persönlichkeit, ihr großartiger Intellekt sowie ihre Schreibkünste am besten zur Geltung.

Es bleibt offen, ob letzten Endes der Sinnesmensch oder der Geistesmensch mit seiner Behauptung recht behält. Denn das ist eine Frage, die, wenn überhaupt, nur „Lady Mary  Montagu, die Impfpionierin, beantworten könnte. Nur sie weiß, ob sie ihrem Edward oder ihrem Kampf gegen die Pocken ihre schönsten und wertvollsten Erinnerungen zu verdanken hat. Nur sie weiß, ob es die Liebe oder die Medizin war, die ihr Leben erfüllte.

*Erschienen bei Lübbe*