Die Tasche
Autor:innen: Houssein Kahin, Kornelia Wald
Der Jugendbuchroman "Die Tasche" entstand aus einer Kollaboration zwischen der Lehrerin Kornelia Wald, die längere Zeit in Tel Aviv tätig war, und ihrem Schüler Houssein Kahin, der in Bremen geboren wurde und zum Teil im Libanon aufwuchs.
Die Geschichte hat einen zentralen Gegenstand: die Titel-gleichnamige Tasche. Einerseits eine gewöhnliche Sporttasche, andererseits eine verdächtige Verpackung gefährlichen Inhalts. Positiv hervorzuheben ist, dass der Roman tiefgründig mit Stereotypen spielt. So ist auch dieses doppeldeutige Motiv symbolisch gut gewählt.
Verdächtigt wird ein normaler Junge, Mohammed. Gemäß dem aktuellen Bild in der Gesellschaft wird leider ausgerechnet er beschuldigt, obwohl es doch seine Schulkameradin Emilia ist, die die Eskalation zu verantworten hat.
Die Eskalation als Gipfel der Geschichte ist den Leser*innen gemäß Klappentext und Anordnung der Kapitel laut Inhaltsverzeichnis bereits klar. Meines Erachtens nimmt das die Spannung aus der Storyline komplett heraus; mir fehlte zwischenzeitlich die Motivation, weil man ja bereits wusste, worum es geht und worin es münden wird.
Neben Mohammeds und Emilias Sicht auf die Dinge wird aus vielen weiteren Perspektiven in den Unterkapiteln erzählt. Da das Buch nicht allzu umfangreich war, fand ich die Anzahl an Blickwinkeln etwas zu hoch gewählt. Dadurch konnte man in keinen Charakter wirklich vollständig eintauchen, sie bleiben alle weitgehend blass, und man blieb am Ende des Buches auch ein bisschen enttäuscht zurück, weil man nicht wusste, was aus allen Personen wurde. Klar möchte das Buch vermutlich besonders vielschichtig wirken und vieles an Meinungen und Lebensstilen in der Gesellschaft abbilden - meiner Meinung nach geschieht dies aber auf Kosten des Genusses beim Lesen.
Der Schreibstil und die Textform variieren ebenso von Unterkapitel zu Unterkapitel. Teilweise empfand ich den Slang als zu krass und zu übertrieben dargestellt. In diesen Unterkapiteln hatte ich auch eine gefühlt längere Lesedauer, um mich im neuen Soziolekt zurechtzufinden. Helfen würden hierbei vielleicht eine ein wenig abgemilderte, von der Wortwahl weniger vulgäre Sprache und längere Kapitel, damit sich die Leser*innen an den Schreibstil gewöhnen und wirklich eintauchen können.
Die Dialoge und Schriftverkehre drehten sich im Buch teilweise um Belanglosigkeiten. Wirklich tiefgründige Gespräche sucht man vergeblich. Vielleicht möchte der Roman aber auch gerade aufzeigen, dass oft der Dialog fehlt. Nichtsdestotrotz kann man aber gerade in der Welt der Literatur durch gute Gespräche neue Gedanken eröffnen.
Was ich mir persönlich auch gewünscht hätte, wäre ein Einbezug der Kritik nicht nur an Rechts-, sondern auch an Linksextremismus, da sich diese politischen Dimensionen z.T. aktuell überschneiden. Gerade jüngeren Leser*innen könnte es helfen, eine umfassende demokratische Bildung zu erhalten, wenn sie die Grundsätze unserer Verfassung in der goldenen Mitte kennenlernen. Selbstverständlich möchte der vorliegende Roman vermutlich nicht in erster Linie erzieherische Werte vermitteln, sondern eine denkbare, konkrete Fallsituation skizzieren, wie sie derzeit in Deutschland tatsächlich in beschriebener Weise passieren könnte. Vielleicht wäre aber eine Berücksichtigung sowohl des Links- als auch des Rechtsextremismus in späteren kollaborativen Werken des Teams denkbar.
Insgesamt also ein Buch über ein wichtiges, zeitgemäßes Thema mit Potential. Mich persönlich konnte es aber nicht vollends abholen.
Erschienen bei Arena
Autorin / Autor: Margherita - Stand: 4. November 2024