Die Töchter des Nordens
Autorin: Sarah Hall
Aus dem Englischen von Sophia Lindsey
Wohnen, Arbeiten, Leben, Lieben und Kinderkriegen sind streng reguliert in dem künftigen Großbritannien, in das Sarah Hall ihre Leser_innen entführt. Warum genau diese neue Form der Gesellschaft sich etabliert hat und was dazu geführt hat, dass die alte Ordnung über Bord geworfen wurde, wird in dem Buch nicht thematisiert. Fest steht allerdings, dass sich die Position von Frauen in der Gesellschaft im Vergleich zu heute nicht verbessert hat. Eher das Gegenteil ist der Fall. Menschen mit Gebärmutter werden zwangsweise Spiralen eingesetzt und im Laufe des Buches verstärkt sich der Eindruck, dass dies nicht geschieht, damit Frauen frei über eine Schwangerschaft entscheiden können.
Als Leserin begleitet man die Protagonistin, die sich nur „Schwester“ nennt, auf ihrer Flucht aus diesen starren Strukturen. Sie hat genug von dem sinnlosen Job in der Turbinenfabrik, deren Turbinen nie zum Einsatz kommen, genug von ihrer Ehe, in der sie unglücklich ist, genug von übergriffigen Polizisten und genug von der Machtlosigkeit der (weiblichen) Bevölkerung. Also macht sie sich auf nach Carhullan, einem Ort, von dem sie seit Kindesbeinen träumt und an dem Frauen herrschen. Hier findet Schwester einen Neuanfang und hat die Möglichkeit, sich und ihre Wünsche neu kennenzulernen und zu ergründen, wer sie wirklich sein möchte und wie weit sie bereit ist, für ihre Träume zu kämpfen.
Hall beschreibt eine Dystopie, die stark an Margaret Atwoods Gilead erinnert. Frauen, die unterdrückt werden, eine Geburtenrate an die sich gehalten werden muss (auch wenn es hier wohl eher um die Begrenzung der Nachkommen geht) und ein Staat, der alles überwacht. Ganz an dieses Vorbild heran kommt ihr Buch dabei für mich leider nicht. Dafür gibt es zu viele Sprünge und Leerstellen in der wie ein Zeugenbericht konzipierten Geschichte, die nicht geklärt werden. Abgesehen von diesen kleinen Lücken in der Geschichte hat mir das Buch jedoch gut gefallen.
Der nüchterne Schreibstil passt zu der beschrieben Gesellschaft und lässt das Bild einer kargen britischen Landschaft vor dem inneren Auge der Leserin auferstehen. Auch dass Carhullan nicht direkt als Gegenentwurf oder reine Utopie zu der dystopischen britischen Gesellschaft entworfen, sondern mit Makeln und Problemen dargestellt wird, hat mir gefallen. So entsteht das klare Bild von einem Ort, der ein zwar arbeitsreiches aber selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Das gefällt mir sehr, da hier nicht stumpf behauptet wird, dass Frauen automatisch alles besser oder anders machen würden. Etwas überrumpelt hat mich das Ende der Geschichte, dass mich mit dem Wunsch nach mehr Informationen zurückgelassen hat. Wer weiß, vielleicht wird es ja einen zweiten Band geben, andernfalls muss wohl die eigene Vorstellungskraft herhalten.
*Erschienen bei Penguin*
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Autorin / Autor: karla94 - Stand: 4. Juni 2021