Ein Tag im Herbst
Autorin: Anne Ameri-Siemens
Der Deutsche Herbst ist ein Thema, das im Geschichtsunterricht häufig außen vor bleibt. Für die Generation unserer Eltern und Lehrer ist es einfach noch nicht historisch genug, um als Schulstoff zu dienen. Für uns Jugendliche, in den 1990er Jahren geboren, ist das Thema allerdings Teil der deutschen Geschichte und nicht unseres persönlichen Gedächtnisses. Deshalb ist es wichtig, dass Bücher wie „Ein Tag im Herbst“ uns Jugendlichen einen Zugang zum kollektiven Gedächtnis dieser Zeit ermöglichen.
Die Autorin des Buches, Anne Ameri-Siemens, wurde 1974 geboren. Zur Zeit der Terroranschläge der RAF im Jahre 1977 war sie ein Kleinkind; auch sie hat die Geschehnisse des Deutschen Herbst also nicht selbst erlebt, sondern kennt sie aus ihrem Studium der Politikwissenschaften und ihrer journalistischen Arbeit zum Thema des deutschen Terrorismus.
Ihr aktuelles Buch „Ein Tag im Herbst“ ist ein Mosaik aus Zeitzeugenberichten, das die Geschehnisse aus dem Jahre 1977 in all ihren Facetten wiederspiegelt. Es kommen nicht nur politische Verantwortliche von damals zu Wort, sondern auch ehemalige RAF-Anwälte oder Angehörige der Opfer. Dadurch ergibt sich eine Vielzahl von Perspektiven, die die unterschiedlichsten Einblicke in den Verlauf der Entführung von Hanns Martin Schleyer und vor allem die Aufklärung derselben ermöglicht. Dabei steht die Frage nach Schuld und Verantwortung im Mittelpunkt. Jeder der Zeitzeugen findet eigene Antworten auf die Fragen, was Politiker und Ermittlungsbehörden damals hätten anders machen können, und welche Alternativen zum tatsächlichen Vorgehen es gab. Und natürlich: Hätte Hanns Martin Schleyer gerettet werden können? Was ist ein Menschenleben wert, und ist der Schutz vieler vor Terrorattacken wichtiger als das Leben eines Einzelnen?
Durch die Vielzahl an Zeitzeugenberichten, aus denen das Buch besteht, bekommt man nicht nur ein vielschichtiges Bild der Gesamtsituation, sondern der Text ist insgesamt abwechslungsreich und angenehm zu lesen. Selbst wenn einem einzelne Passagen zu ausschweifend erzählen, weiß man immer, dass der Erzählstil nach ein paar Seiten wechseln wird. Außerdem sorgen eingefügte Fotos und Briefe für zusätzliche Auflockerung, sodass der Fließtext nie zu trocken wird. Durch die packende Thematik ist „Ein Tag im Herbst“ für ein Sachbuch außergewöhnlich spannend und man gerät beim Lesen regelrecht außer Atem.
Ich kann mir gut vorstellen, dass „Ein Tag im Herbst“ nicht nur für jüngere Menschen interessant ist, die selbst keinerlei Erinnerungen an diesen Teil der deutschen Geschichte haben, sondern auch für jene, die die Terroranschläge der RAF zwar miterlebt haben, sich aber nie wirklich mit den Hintergründen oder den Folgen für die deutsche Bundespolitik befasst haben.
*Erschienen bei Rowohlt Berlin*
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Autorin / Autor: lacrima - Stand: 12. Juli 2017