Lächelnd über den Tellerand schauen
Forschung: Emotionale Spannung macht kreativ
Kennt ihr das unangenehme Gefühl, ein Lächeln aufsetzen zu müssen, obwohl euch so gar nicht danach zumute ist? Die Gesichtsmuskeln verkrampfen sich zu einer fröhlichen Maske, während man im tiefsten Innern eigentlich heulen, toben oder sonstwas machen möchte. Eine scheußlich anstrengende Erfahrung - aber nicht immer nutzlos! Laut einer aktuellen Studie der Kellogg School of Management an der Northwestern University beflügeln uns solche "Leib-Seele-Dissonanzen" nämlich dazu, über den üblichen Tellerand hinaus zu schauen und zum Beispiel mehr Toleranz für Andere zu empfinden oder sich für untypische Ideen zu öffnen. Wie die Forscher Adam Galinsky und Li Huang herausfanden, signalisiert die unharmonische Spannung zwischen Gefühl und körperlichem Ausdruck dem Gehirn, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dies löst offenbar einen Mechanismus aus, der die normalen Vernunfts-Grenzen durchbrechen und uns zu viel kreativeren Lösungen und Verhaltensweisen führen kann, als unser Gehirn es unter normalen Bedingungen zulassen würde.
*Zwischen Lächeln und Stirnrunzeln*
Um ihre Theorie in der Praxis zu testen, entwickelten Galinsky und Huang psychische und physische Koordinierungsaufgaben, die gleichzeitig gelöst werden mussten: Die TeilnehmerInnen sollten einen Stift zwischen ihren Vorderzähnen halten und ihnen wurden Golf-Tees (kleine Holzstifte) auf ihren Stirnen platziert mit der Aufgabe, sie durch das Heben und Zusammenziehen der Augenbrauen zu bewegen. Die Aufgaben wurden so entwickelt, dass jeweils die Mimikmuskeln für Lächeln und Stirnrunzeln bewegt werden mussten. Während die TeilnehmerInnen eine der beiden Aufgaben bewältigten, wurden sie aufgefordert, eine fröhliche oder eine traurige Erfahrung zu erzählen oder glückliche oder traurige Musik zu hören.
*Ist ein Kamel ein Fahrzeug?*
Nach der Durchführung dieser Koordinierungsaufgaben, sollten die TeilnehmerInnen abstimmen, wie gut Objekte in verschiedene Kategorien passen. So sollten Objekte wie ein Bus, ein Flugzeug und ein Kamel zur Fahrzeug-Kategorie gezählt werden und Rock, Schuhe und eine Handtasche zur Kleidungs-Kategorie gehören. Nach der Abstimmung zeigte sich: Diejenigen deren Mimik im Widerspruch zu ihrem Gefühlszustand gestanden hatte, waren eher bereit, untypische Objekte wie ein Kamel als Fahrzeug zu kategorisieren oder eine Handtasche zu Kleidungsstücken zu zählen als diejenigen, die keine Widersprüche ausgehalten hatten. Für die ForscherInnen ein Beweis dafür, dass eine "Leib-Seele-Dissonanz" atypische Lösungen fördert.
In einem weiteren Experiment vertiefte sich die gewonnene Einsicht nochmals. Dabei wurden die TeilnehmerInnen in zwei Gruppen aufgeteilt: in Führungskräfte und Untergebene, die jeweils entgegengesetzte Körperhaltungen einnehmen sollten. Die Führungskräfte sollten zum Beispiel vorgebeugt und auf ihren Händen sitzen (typische Haltung für Untergebene), während die Führungskräfte breitbeinig und aufrecht sitzen sollten (typische Haltung für Mächtige). Auch hier führte die Asymmetrie zwischen Körperhaltung und Gefühl dazu, dass die Versuchsteilnehmer das Kamel zu den Fahrzeugen zählte und die Handtasche zu den Kleidungsstücken. Sprich: sie erweiterten ihre Definitionen dessen, was als "normal" gilt.
*Kreativ aber vergesslich*
Neben dieser Art von Bewusstseinserweiterung stellten Galinsky und Huang aber noch etwas anderes fest: Wenn Körperhaltung und Gefühl nicht übereinstimmten, verringerte sich leider die Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses. In einem abschließenden Experiment erhielten die TeilnehmerInnen 18 zufällig ausgesuchte Informationen über eine fiktive Figur. Beim Erinnerungstest kam dann heraus, dass die TeilnehmerInnen sich weniger merken konnten, wenn ihr körperlicher und mentaler Zustand zuvor asynchron war.
"Wenn wir unseren Körper zwingen, sich außerhalb unseres Gefühlsdiktats zu bewegen, können wir einerseits unser Denken erweitern und mehr Ideen entwickeln, die auch mal gegen den Strich gehen", so Galinsky. "Aber dies ist auch eine große geistige Leistung, deshalb verfügen wir in solchen Situationen nicht mehr über alle geistigen Ressourcen, um alle andern Informationen rund um uns mitzukriegen."
Wollt ihr also kreativ und unkonventionell sein, dann lohnt es sich durchaus, mal eine Maske zu tragen; kurz vor einem wichtigen Vokabeltest solltet ihr hingegen eher auf eure Authentizität pochen und lieber nicht lächeln, wenn euch eher zum Heulen zumute ist ;-).
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 10. Juni 2011